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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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und nach seiner Rückkehr hatten gänzlich veränderte Verhältnisse dem Gegenstande der Unterhandlung seine Wichtigkeit genommen.
Das Schloß, dessen weitläufige Trümmer die Plattform eines hohen Berges bedecken, welcher sich 1800 Fuß über der Meeresfläche erhebt und von dem man, vor der Mediatisirung so vieler deutschen Reichsstände, über zwanzig Territorien erblicken konnte, erwarb sich noch in diesem Jahrhundert in den Kreisen der Wissenschaft einige Aufmerksamkeit als achtwöchentlicher Aufenthalt des berühmten Astronomen von Zach, welcher von hier aus eine Triangulirung zur topographischen Aufnahme Thüringens und Hessens leitete.
Die Sage rankt freudig um diese Ruinen und ihr Immergrün schmückt das todte Gestein mit dem Gewande des Lebens. Unter vielen ist folgende in Aller Mund. „Auf eine Zeit lebten auf der Boyneburg drei Fräulein zusammen. Der jüngsten träumte in einer Nacht, – es war in der Leidenswoche, – es sey in Gottes Rath beschlossen, daß sie im Wetter sollte erschlagen werden. Des Morgens erzählte sie ihren Schwestern den Traum, und als es Mittag ward, stiegen Wolken auf, die immer größer und schwärzer wurden, also, daß Abends ein schweres Gewitter am Himmel hing und ihn bald ganz zudeckte. Das Wetter leuchtete, der Donner rollte von fern und kam näher und näher. Als nun das Feuer von allen Seiten herabfiel, sagte die älteste: „„ich will Gottes Willen versöhnen, liebe Schwester, und den Tod für Dich leiden!““ und darauf ließ sie sich einen Stuhl hinaus tragen, saß draußen einen Tag und eine Nacht und erwartete, daß der Blitz sie träfe. Aber die Blitze schlugen rechts und links ein, doch sie traf keiner. Da stiegen am zweiten Tage die Wetterwolken von neuem auf, und der Regen prasselte, und der Donner brüllte, und die Blitze zuckten, daß es gräßlich zu hören und zu sehen war. Und am zweiten Tage ging das zweite Fräulein hinab und sprach zur jüngsten: „„ich will Gottes Willen versöhnen, liebe Schwester, mir sey der Tod für Dich beschieden!““ und saß draußen den zweiten Tag und die zweite Nacht. Aber die Blitze verzehrten sie nicht. Doch schrecklicher noch tobte das Wetter am dritten Tage, und der Hagel und die Fluthen verwüsteten die Fluren und Gründe, daß alle Bewohner der Gegend wehklagten und heulten lauter als das Wetter. Da sprach die dritte, die jüngste: „„Nun ist mir Gottes Willen deutlich; ich allein bin’s, die sterben muß: des Herrn Wille geschehe!““ Und sie ließ sich den Pfarrer holen, der ihr das Abendmahl reichen und die Schläfe salben mußte mit dem heiligen Oel – und auch der Richter ward herbeigerufen, vor dem sie ein Testament machte und stiftete: daß alle Leute, die dem Schloß Boyneburg unterthan waren, an ihrem Todestage gespeist werden sollten unter Gottes freiem Himmel auf ewige Zeiten. – Nachdem dies niedergeschrieben war, drückte sie ihren Siegelring drei Mal auf das Pergament, stand auf und stieg hinab in den Hof und setzte sich auf den Sessel und in dem Augenblick fuhr ein Blitz auf sie herab und tödtete sie.“ –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/99&oldid=- (Version vom 3.3.2025)