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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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gefahrlos; doch wird Jeder bei dem Gedanken zittern, daß, wenn der Wagen aus dem Geleise gleiten würde, die aus den Seitenwänden des Stollens oft scharf wie Messer vorstehenden Schieferspitzen den Reisenden unfehlbar in Stücke zerschneiden müßten. – Angelangt auf der ersten Terrasse staunt man über den alle Erwartung übertreffenden Anblick. Denke man sich eine schwarze Felsgrotte von einer halben Stunde im Umfang, in der die abgesprengten Schieferwände, mehre hundert Fuß hoch, senkrecht, oder überhängend, rundum emporstarren. An Seilen, welche an über den Rand des Kraters vorstehenden Balken befestigt sind, sieht man Menschen, gleich schwarzen Vögeln, um das Gestein herum schweben und sich bemühen, Löcher in die Feldwände zu bohren, oder lange Eisen zwischen die durch Pulver schon gelockerten Massen zu zwängen und sie in den Abgrund zu stürzen. Auf der Terrasse selbst ist das Leben noch mannigfaltiger. Ihr Boden ist nach allen Richtungen mit Eisenbahnen durchfurcht, auf denen sich die eisernen Schieferwagen, leer oder beladen, bewegen; Knaben schieben sie mit Leichtigkeit vor sich hin, Pferde ziehen ganze Trains auf einmal. Schieferklumpen von mehr als hundert Zentnern werden zu den breternen Schauern gebracht, wo lange Reihen von Arbeitern stehen, welche die Blöcke durch Hammer, Meisel und hölzerne Keile in Tafeln zerspalten. Nicht weniger als tausend Mann sind immerwährend beschäftigt, die Tafeln in die verlangten Formate zu hauen und nach ihrer Größe, Qualität und Farbe zu sortiren; denn die Farbe der Schieferblätter wechselt vom lichten Grau bis zum tiefsten Blauschwarz. – Mitten im Bruch ist ein Laboratorium erbaut, wo eine Menge Menschen Patronen zum Sprengen anfertigen. Der Verbrauch an Pulver ist unglaublich groß; denn vom Morgen bis zum Abend hört das Knallen der Explosionen nicht auf; es ist hier wie auf einem Schlachtfelde, auf welchem sich der Kampf mit jedem Tage erneuert. Schweigt zuweilen der Donner der Minen, dann hört man den kriegerischen Schall der Warnungshörner, welche das Echo vervielfacht; – und auf das Signal sieht man Schaaren von Arbeitern, in deren Nähe eine Batterie von Bohrlöchern abgefeuert werden soll, in die aus Schieferblöcken errichteten Schirmhäuser flüchten, oder sich hinter die Mauern verstecken, welche den Bruch in verschiedenen Richtungen zu dem Zwecke durchkreuzen, den Arbeitern beim Sprengen des Gesteins einigen Schutz zu gewähren. Bei jeder Explosion wankt das Gebirge, ganze Felsmassen lösen sich von den Wänden ab, stürzen mit fürchterlichem Krachen in die Tiefe, und Wolken von kleinen, scharfen Schieferstücken fahren, mit Gewalt weggeschleudert, weit umher, wie die Stücke einer zerplatzten Bombe. Wehe dem Armen, der schutzlos in ihrem Bereich ist; er wird selten mit dem Leben, fast nie unverstümmelt davon kommen. Bei der Gewalt, mit der die oft messerscharfen Schiefer geschleudert werden, kann ein kleines Stück hinreichen, einem Menschen die Hand, das Bein, oder gar den Kopf rein abzuschneiden, und solche Fälle kommen nur zu häufig vor. Kein Tag vergeht, ohne daß Menschen verunglücken, oder mehr oder minder stark beschädigt werden. Darum ist auch dicht am Bruch ein eigenes,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/64&oldid=- (Version vom 1.3.2025)