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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/51

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wenn sie bei dem andern stehlen wollen. – Die Rouletiers durchwandern die Orte, wo die Schiebkärrner vom Lande, die Wäscher mit ihren Wägelchen und Waschkörben anhalten, gutmüthige Leute, denen sie immer einige Worte zu sagen haben, während ein gewandter Zunftbruder jede Unachtsamkeit benutzt. – Der Diebstahl à la détourne verlangt schon elegantere Manieren und bessere Kleidung. Man tritt in eine Boutique mit dem Anstand eines Mannes von Welt, die Verbündeten erscheinen einer nach dem andern, jeder besieht die Waare, jeder handelt, mancher kauft, und der über den glücklichen Tag vergnügte Kaufmann merkt das Verschwinden seiner kostbarsten Gegenstände nicht eher, als bis die Kunden weg sind und er seine Kästen wieder ordnen will. – Der Carreur verlangt in jedem Laden Münzen aus der Republik oder der Kaiserzeit für seine Münzsammlung, er bietet hohes Agio, und während der Krämer gewinnsüchtig seine Kasse umstürzt und durchsucht, haschen des Sammlers gewandte Finger unbemerkt Gold- und Silbermünzen jeden Geprägs weg. – Der Floueur unterscheidet mit seltenem Scharfblick den Niais aus der Provinz, den arglosen Mann vom Lande, dem er sich zutraulich nähert, den er in ein Kaffeehaus begleitet und endlich zu einer Spielpartie bringt, deren Kosten der Arme allein zahlen muß. – Noch gewandter ist der Amerikaner, der stets seine Fünfdollarstücke gegen vier Fünffrankenstücke auswechselt, aber in der That den Betrogenen nur schlechten Beischlag statt der guten Münze gibt. – Der Ramastique endlich findet neben jedem Pinsel, der ihm Glauben schenkt, werthvollen Schmuck und tritt ihm um wenig Geld seinen Antheil an den Edelsteinen von Glas ab.

Wir haben in den obengenannten Klassen die leichten Truppen der Pariser Diebsarmee gemustert; betrachten wir nun die Mannschaft der Linie. Das Gros derselben bilden die Boucardiers. Gewandt, klug und verwegen treten sie in einen Laden, handeln um Etwas, kaufen eine Kleinigkeit; aber während sie ausschließlich mit ihrem Gegenstand beschäftigt scheinen, erfaßt ihr forschender Blick in einem Moment die ganze Lokalität, die Schwäche und die Stärke des Orts, und in der nächsten Nacht kommen sie mit Zangen, Hebeln und Monseigneurs (Dietrichen), um ihn zu belagern und mit Sturm zu nehmen. – Hinter den Boucardiers steht die Garde des Verbrechens, jene verruchte Genossenschaft, welche, Hyänen gleich, in der Gesellschaft umher wandert, Alles an Alles setzt, und beim Einbruch und Raub jeden Augenblick bereit ist, beim ersten Schrei, beim ersten Zeichen von Widerstand ihre Hände in das Blut ihrer Opfer zu tauchen. Diese Banditen sind selbst von ihren Genossen gefürchtet, denn nur die verworfensten Naturen sind ja im Stande, mit kaltem Blut einen Mord an dem Wehrlosen zu begehen, den sie bestehlen wollen. Leider ist es gerade diese Klasse der Diebsbevölkerung von Paris, welche sich von Jahr zu Jahr rasch vermehrt. Die meisten dieser Verbrecher gingen aus der Schule hervor, welche mit ihrem Unglauben alles Heilige höhnt und die Gesetze der Moral und Sittlichkeit als Vorurtheile oder Sklaverei des Geistes verspottet. Nicht blos die niedrigsten Stände steuern zu dem Noviziat; Handlungsdiener,