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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/44

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zwischen diesen engen Feldspalten sich sammeln, oder dicke Bergnebel den Reisenden in Finsterniß hüllen, so glaubt er sich dem Acheron nahe und nicht mehr in der hohen, lichten Bergwelt.

In dieser Szene des Grauens – gerade da, wo alle Schrecken der Gegend auf die Seele des Wanderers einstürmen; da, wo er sich am Ende der Welt glaubt und ohne Ausgang: – da erscheint mit einem Male ein graubemooster Schwibbogen von rohen Felsblöcken, inmitten weißer Schaumwolken, umstürmt von hoch herabstürzenden Fluthen. Es ist die Teufelsbrücke – und kein Wunder ist’s, daß die Sage sie zu einem Werke übermenschlicher Kräfte gemacht. In einem einzigen Bogen von 75 Fuß Spannung schreitet sie leicht von einer Felswand hinüber auf die andere. –

Wer nicht schwindelt, der raste auf der Mitte des Bogens und schaue um sich. Ringsum Felsen, die nur den Blick nach den Wolken gestatten; Felsen, die sich fast berühren, und unter sich eine unabsehliche Tiefe, in welche eine schäumende, tobende Fluth hinabdonnert. Kein anderer Punkt der Alpen bietet ein solches Schauspiel wieder. –

Zum Glück ist die Brücke, dies merkwürdige Werk uralter Baukunst, allen Zerstörungschancen entgangen, welche Kriege und der neue Straßenbau in reichlichem Maße darboten. – Als Suwarow mit seinen 30,000 Russen über den Gotthardt zog, waren schon die Pulvertonnen gefüllt, welche jene sprengen sollten; aber, betroffen von dem Anblick des Wunderbaus, befahl er bei Todesstrafe dessen Erhaltung. Suwarow befuhr nachher zum allgemeinen Erstaunen in einer niedrigen Droschke den Gotthardtsweg, der damals noch ein bloßer Saumweg war.

Ueber der Teufelsbrücke ist das Defilé durch himmelhohe Felsen geschlossen, in welche sich die Reuß senkrecht und so eingesägt hat, daß dem Wege auch nicht ein Fuß breit Raum übrig bleibt. Man mußte ihn deshalb durch die Felsen führen. Diese Stelle, das Urner Loch, war ehedem ein enger, finsterer Stollen, passend zu der Schauerszene der Außenwelt; jetzt ist’s ein prächtiger Tunnel, durch eine weite Oeffnung erleuchtet, welche man seitwärts in’s Freie gebrochen hat. Durch dieses Felsenfenster sieht man die Wogen der wilden Reuß, welche durch die enge Feldspalte hinabstürzt. Ihr Gebrüll, das an den Felswänden schauerlich wiederhallt, übertäubt jeden andern Laut, und wer es wagt, sich über die Brüstung hinaus zu biegen, hat ein Schauspiel voller Erhabenheit, aber auch voller Entsetzen vor sich.

Jenseits des Urner Loche ist die Szene gänzlich verändert. An die Stelle des Wogentumults ist Todtenstille getreten, statt des rastlosen Kampfgewühls der Elemente tritt das Bild ungestörter Ruhe vor die Seele. Ueber eine begraste Hochebene, an lichtgrünen Alpen hin, auf welchen da und dort ein Hirt bei seinen weidenden Rindern jodelt, führt die Straße nach dem Dörfchen Hospital, dessen Häuser schon in weiter