Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/37

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

wenigsten besteuert ist, auf dem Kapital nämlich, welches in Handel und Gewerben eine nutzbare Anlage findet. Von jedem tausend Franken seines Betriebskapitals zahlt der Kaufmann, der Bankier, der Fabrikant jährlich eine gewisse Rate. Diese Abgabe trägt eine hübsche Summe ein, ein Beweis, wie vermögend die Bürger sind und wie bedeutend Industrie und Verkehr sich hier entfalten. Immerhin werden in monarchischen Staaten die Züricher Staatseinkünfte klein erscheinen; sie sind jedoch mehr als hinreichend in einem Lande, dessen öffentliche Diener keinen Gehalt nehmen, welches keine Soldaten unterhält und dennoch über vierzig tausend geübte und gewaffnete Krieger, also ungefähr den fünften Theil des Heers der ganzen Eidgenossenschaft, binnen 24 Stunden in’s Feld stellen kann. Das Züricher Zeughaus enthält Rüstzeug für 50,000 Mann. Knaben werden hier schon mit den Waffen vertraut. Sonntag Nachmittags übt sich in jedem Orte des Kantons die junge Mannschaft. Keiner darf heirathen, bevor er Montirung, Gepäck und Gewehr, von prüfungsbeständiger Beschaffenheit, und das Zeugniß der Reife im Waffendienst aufweisen kann. Die Schützenvereine (jedes Dorf hat welche) geben der Schweiz erfahrene, geübte Schützen, die ihr Ziel auch im ernsten Spiel des Kriegs nie verfehlen. Eine solche Wehrverfassung, ein Land, das zur Vertheidigung geschickt ist, und der Stolz der Freiheit machen die Schweiz gefürchtet und sichern ihre Unabhängigkeit inmitten übermächtiger Nachbarn. Die Schweizer Republik ist im europäischen Konzerte ein Mißton; sie ware längst geopfert, wäre die Furcht vor ihr nicht größer, als die Unbequemlichkeit.

Man gibt sich viele Mühe, die so häufig vorkommenden Raufhändel der Schweizer der übrigen Welt als Beweise hinzustellen, daß die republikanische Regierungsform die untauglichste und unbequemste sey. Bei alten Weibern und Spießbürgern, welche in Volksbewegungen nichts sehen, als beunruhigende und erschreckende Straßentumulte, kostspieliges Fenstereinschlagen und gefährliches Kopfabhacken, bei diesen mag das Gerede fruchten. Der Mann aber, dem das Herz warm und der Kopf klar sind, denkt anders. Er preist die Schweiz mit allen ihren Gebrechen glücklich. Warum sollte er es nicht? Wenn ausgetretene Wasser die Felder und Saaten eines Landmanns überschwemmen, wenn stürzende Lawinen einen Häusler mit Weib und Kind erschlagen: ist es darum die Schuld des Frühlings und ist darum dem Frühling zu fluchen? Ist’s nicht vielmehr die Schuld des Winters, der die Ströme in ihrem Laufe gehemmt und Eis auf Eis gehäuft hat? Ist aber deshalb ein ewiger, unveränderlicher Winter mit seiner Stabilität und dem stillen, ruhigen Gang der Dinge dem belebenden Frühling vorzuziehen?

Wen erquickt das rührige Bild des Schweizerlebens, trotz der Raufereien, nicht mehr, als eine stille, russische Winterruhe, oder das Maschinen-Getriebe der Ordnung in despotisch beherrschten Ländern? Ich finde Harmonie in jener rüstigen, herausfordernden Beweglichkeit des schweizerischen Lebens mit dem Schweizerlande. Eine erhabene Natur im Kampfe gegen den Trotz der Menschen und von diesen besiegt; Krieg der Elemente in den Abgründen,