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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/21

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Hier erscheint es dem Reisenden gleichsam als der Portikus zu einer Gallerie der schönsten Landschaftsbilder, welche erst am Euxinus endigt.

Eine Stunde ungefähr mag die Fahrt gedauert haben, als man die Stelle erreicht, wo, auf europäischer Seite, der Flecken Babeck, welchen eine bewaldete und steile Höhe dicht an die Uferwand gedrängt hat, freundlich herüber blickt. Hier, wo der Bosporus sich außerordentlich verengt, haben die Türken zwei schwer gerüstete Wächter hingestellt: Rumili-Hissar und Anadoli-Hissar, in alter Zeit als Festungen sehr gefürchtet und als Staatsgefängnisse noch mehr berüchtigt. Dicht bei der asiatischen Burg, unter dem Schutze ihrer Feuerschlünde, steht ein Kiosk des Padischah.

Ein heller Bach mündet nicht weit davon in den Bosporus, und hübsche Kayen, vor welchen türkische Gondeln liegen, bezeichnen dem Dämpfer sein erstes Ziel. Die Schaufelräder ruhen und die Gesellschaft steigt aus, um das gefeierte Göksuthal hinauf zu wandern und da, auf asiatischem Boden, die orientalische Natur in ihrem Liebreiz und das türkische Volksleben in seinen geselligen Formen zu belauschen. Vielfach gewunden schlängelt sich der üppige Wiesengrund das Thal hinauf, majestätische Laubwaldung bedeckt seine Seiten, und Gruppen von Platanen und Zypressen schatten an den Ufern des rauschenden Bachs, oder um Fontainen, aus denen das beste Quellwasser Kühlung und Labsal spendet. Kiesbestreute Fahrwege und Fußpfade verbinden die verschiedenen Partieen, und das Ganze gleicht einem Parke, dessen Schönheit die Hand des Menschen nur zugänglich gemacht, nicht geschaffen hat. Hier begehen die türkischen Bewohner der Hauptstadt in den Sommertagen ihre ländlichen Feste, und oft sind Tausende da versammelt. Auch ihre Frauen dürfen am Vergnügen im „Thale der süßen Wasser“ Theil haben; sie führen sie hinaus in plumpen, wunderlich geformten Kutschen. Büffel, angethan mit glänzendem Geschirr, machen die Gespanne dieser Equipagen aus, in welchen die Damen verschleiert am Boden sitzen. Die osmanische Eifersucht hält an solchen öffentlichen Belustigungsorten die Geschlechter gänzlich geschieden; ja selbst den Vater und die Brüder wird man mit den weiblichen Verwandten nie zusammen sehen. Die Kutschen der Frauen sind daher stets nur auf einer Seite der Springbrunnen zu finden; die Männer aber lagern sich mit ihren Tschibucks auf Teppichen, im Schatten der Bäume, auf der andern. Die Demarkationslinien nehmen die Verkäufer von Erfrischungen ein, um beide Parteien zu bedienen. Sorbet, aus Fruchtsäften bereitet und mit Eis gekühlt, und saure Milch (Jagurd) sind die Lieblingsgetränke; wandernde Konditoren bieten Näschereien dar, griechische Mädchen Blumen und Früchte. – Mäßigkeit ist eine allgemeine Tugend der Türken; sie wird durch den Koran streng geboten, und Szenen, wie man ihrer im Abendlande überall, wo große Menschenmassen zu Vergnügen sich sammeln, unausbleiblich begegnet, sind dort unerhörte Dinge.