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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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Türkische Statthalter führten fortan ein schweres, drückendes, den Albanesen unerträgliches Regiment. Mehre Aufstände wurden versucht, aber sie mißglückten. Nur einmal gelang es ihnen, unter ihrem berühmten Häuptling Skanderbeg, um 1410, die Ketten zu zerreißen und die Türken aus dem ganzen Lande zu vertreiben. Doch die mit dem Schwerte errungene Freiheit konnte nur mit dem Schwerte behauptet werden. Jedes Jahr kamen die türkischen Heere wieder, das aufgestandene Volk zu züchtigen und neu zu jochen; jedes Jahr verging unter Schlachten, jedes Jahr mehrte der Albanesen Kriegsruhm und reihete neue Siege zu den alten. – Aber wie es in unsern Tagen dem kaukasischen Heldenstamm ergeht, erging es in diesem ungleichen Kampfe den Albanesen. Der Sieg schwächte ihre Kraft und nach einem Kampfe, der in den Annalen der Kriegsgeschichte seines Gleichen sucht, mußten sie endlich der Uebermacht unterliegen. Seitdem hat sich Albanien, trotz vielfältiger Versuche, niemals wieder dem türkischen Szepter ganz entziehen können.
Die Eroberung brachte große Veränderungen in den Volksverhältnissen hervor. Bis auf Skanderbeg war Albanien christlich gewesen; mit den türkischen Machthabern drang Mohameds Lehre herein und der Koran verdrängte bei der Mehrzahl die Bibel. Von dem angestammten Thätigkeitsgeiste getrieben, nahmen die Albanesen die Gewohnheit an, Kriegsdienste bei der Pforte zu suchen, welche in dem kampfgeübten Volke seitdem die Hauptstärke ihrer Heere fand. Die Nordalbanesen liefern den Türken die gewandteste Reiterei und das südliche Albanien gibt ihnen das abgehärtetste und behendeste Fußvolk. Als Söldlinge sind sie seit Jahrhunderten, noch mehr aber seit dem Verfall der Janitscharen, im ganzen türkischen Reiche zerstreut, und auch eine Menge der wichtigsten und einflußreichsten Staatsämter sind fortwährend in ihren Händen. Albanesen sitzen im Divan, geben den meisten Provinzen ihre Pascha’s, und jetzt haben sie in allen Zweigen der türkischen Verwaltung eine Macht erlangt, die jene der Türken bei weitem überragt und erst beim Einsturze des Reichs voll gewürdigt werden wird.
Albanien, obschon der Pforte unterworfen, ist doch nicht ohne ein gewisses Maas von Freiheit, welches hinreicht, das Streben nach Unabhängigkeit zu nähren und zu begünstigen. Jeder Distrikt, jede Stadt bildet ein Gemeinwesen, in welchem unter den Namen Aga’s oder Beg’s, die Häupter der vornehmsten Familien herrschen. Häufig geschieht es, daß der eine oder der andere unter diesen Häuptlingen, durch persönliche Eigenschaften, oder durch die Macht der Pforte unterstützt, zu ungewöhnlichem Ansehen gelangt und einen überwiegenden Einfluß geltend macht, der nicht selten Denen gefährlich wurde, unter deren Schutz er sich bildete. So kam zu Ende des vorigen Jahrhunderts Ali Pascha, der, als Söldling, der Pforte viele und große Dienste geleistet hatte und deshalb mit dem Gouvernement von Trikala beliehen worden war, zu ausgedehnter Macht. Ganz Albanien gerieth nach und nach unter seine Botmäßigkeit, und der erkaufte Divan that seinem Treiben selbst dann nicht Einhalt, als er seine Unternehmungen bis in das Herz von Griechenland erweiterte. Dann erst, als er
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/199&oldid=- (Version vom 6.3.2025)