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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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Unsere Zeit ist die Geburtsstunde einer ganzen verhängnißvollen Zukunft. Bei der regen Bewegung, welche die Gesellschaft jetzt ergriffen hat; bei dem lebhaften Umtausch der Gedanken und Erfahrungen zwischen Volk und Volk; bei der Schnelligkeit des Verkehrs, der, von der Dampfkraft beflügelt, auf Eisenbahnen daber braust und die Pfade über die Meere kürzt; bei der Leichtigkeit, das Entfernteste mit einander in Verbindung zu bringen: ist das Leben der civilisirten Menschheit durchsichtig geworden bis zur Mitte hin und das Getriebe der Staaten wie unter einem Glashause öffentlich zur Schau gestellt. Die Geister berühren sich so nahe, daß sie gleichsam eine ununterbrochene Leitkette bilden, auf welcher jede große Idee, dem Blitze gleich, in allen Richtungen leicht von einem Ende zum andern schlägt. Nichts bleibt mehr verborgen. Jede Thatsache im öffentlichen Leben wird an’s Tageslicht gezogen und ist der Diskussion preisgegeben; jede Erfindung, jede Entdeckung, irgendwo gemacht, wird schnell zum Gemeingut; jeder Zustand in Volk und Staat wird ruchtbar und nach seinen Ursachen besprochen und ergründet; jede geäußerte Meinung findet ihren Gegner, der sie berichtigt, und durch eine unerbittliche Kritik, welche in alle Verhältnisse schneidend und zerlegend eindringt, läutert sich das Urtheil über Dinge und Zustände, Personen und Völker.
In diesem Urtheil offenbart sich die Macht der öffentlichen Meinung. Sie ist eine Macht, vor der alle Mächtigen der gesitteten Welt, gleichviel ob in Demuth oder mit Zähneknirschen, den Nacken beugen. In ihrem scharfen Todtengericht sind alle jene gedruckten Lügen, mit welchen eine verlebte Staatspfiffigkeit so lange Zeit dummgläubige Völker äffte, für nichts mehr geachtet. Alle die hohlen, schönen Phrasen der Heuchelei sind vor ihr wie leerer Wind, aller Mummenschanz, den man der Wahrheit umhängt, wird von ihr ausgezogen, und die da wandeln im Dunkel der Thronsäle und Kabinette, eingehüllt im weiten Mantel ihrer Eitelkeit, sie sind gezeichnet mit den Namen, welche die richtende öffentliche Meinung ihnen zugesprochen, lange vorher schon, ehe die unbestechliche über sie den Stab bricht. Thaten und Begebenheiten, Absichten und Bestrebungen, die sich in der tiefsten Verborgenheit glauben, sie sind aufgedeckt vor aller Welt, und was das Wunderlichste ist, die zunächst dabei Betheiligten glauben meist gerade das Gegentheil, wenn nicht etwa das eigene Gewissen sie dunkel mahnt und sie nun eine Gegenrede ohne vorhergegangene Aufforderung versuchen. Wähne Keiner, daß die Fesselung der Presse,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/189&oldid=- (Version vom 6.3.2025)