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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/175

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DII. Strassburg.




Wenn wirst du aufhören, ein Stachel zu seyn in meinem Herzen? Wenn wird der Tag kommen, wo das Vaterland dir zuruft: Willkommen, nach langer Trennung, ehrwürdiges, altes Straßburg! Wenn ich den Tag denke, den Tag, wo aus allen deinen Fenstern schwarz-roth-goldne Wimpel flattern, alle Glocken läuten von deinen Thürmen und deutscher Jubel wie Sturmesbrausen durch deine Straßen zieht: – dann geht mir die Brust weit auf und ich wünsche der Zeit die Schwingen des Blitzes, auf daß der Tag an die Gegenwart rücke und ich seine Herrlichkeit preisen könne mit beredtem Munde.

Eitler Wunsch. Die Gegenwart spottet meiner Gefühle, der gallische Hahn kräht von dem Münster und die Tricolore weht von den Wällen. Die Pfalz, jener alte, feste Harnisch, welcher das Vaterland umgürtete; Straßburg, die Mauerkrone Deutschlands mit dem regen Leben drinnen; – beide sind noch in des Räubers Händen, der vor Jahrhunderten des Reichs Pforten aufgebrochen und mit Brandfackel und Schwert in demselben gewüthet. Das Thor von Deutschland haben die Fremden inne und das Reich ist zum offenen Dorf geworden, gehütet von schlechten Zöllnern. Das Lied vom deutschen Strom ist eine schändliche Lüge; die aber, welche den Kaisermantel, der Alle umfing, zerrissen und sich gekleidet haben in seine Fetzen – die achten den schmählichsten Diebstahl, der je an einem großen Volke begangen wurde, wie ein rechtmäßig erworbenes Besitzthum, und sie erröthen nicht, wenn im deutschen Heiligthum das Tedeum schallt bei’m Namenstage des fremden Gebieters, und dessen Vögte am Rhein über eine Million Deutsche herrschen. –

Man wird mir sagen: die Pfalz hat Theil an Frankreichs Freiheit; der Pfälzer ist besser dran, als das Volk, dem er anstammt. Wunderliches Gerede! Ich kenne diese Freiheit: eine Freigelassene ist sie, die noch die Narben ihrer Ketten fühlt. In der Freiheit eines Volkes, das einem Fremden gehorsamt, ist ein Widerspruch, den keine Magna Charta austilgt. Das Wesen einer solchen Freiheit, die aus dem Joch fremder Unterdrückung herausgewachsen, das läuft auf einen wohlgezogenen Despotismus hinaus, und betrachtet man es recht, so ist es nichts, als ein Zerren zwischen Eigenwillen und Licenz, ein wechselseitiges Fürchten und Fürchtenmachen, eine gährende Bewegung ohne Resultat, einerseits das arglistige Streben, das Deutschthum vollständig zu entfernen und die Assimilation zu beschleunigen, anderseits ein zähes, zaghaftes Verhüllen und Vertuschen entgegengesetzter Absichten