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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/16

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das Ohr betäubt und den Sinn verwirrt. Den Schranken zunächst haben die Bankiers mit ihren Kommis Posto gefaßt, oder die großen Spekulanten, die Koryphäen der hausse und baisse, umkreist von geschäftigen Dienern, welche, ihres Winks gewärtig, bald da, bald dorthin schlüpfen, um Fonds und Aktien auszubieten, oder zu kaufen, je nachdem es die Operationen ihrer Prinzipale erheischen. Gallonnirte Lakayen überbringen den großen Männern des Börsenspiels versiegelte Depeschen; sie werden mit gleichgültiger Miene entgegengenommen, gelesen und eingesteckt, oder weiter mitgetheilt. Wird aber ein kleines Zettelchen mit einer Chiffre dargereicht – dann verfolgen es die Blicke der Menge mit Habichtsaugen, in hundert Gesichtern malt sich der Neid gegen den Glücklichen, der sich eine Taubenpost halten kann, um die Neuigkeiten früher als alle andere zu empfangen, und lange ruhen die Blicke auf den Zügen des Empfängers des räthselhaften Zettelchens, um den Gang seiner nächsten Operationen darin zu lesen und daraus Nutzen zu ziehen. Während dieses Treibens geht die eigentliche Börsenzeit schnell vorüber; schon gegen drei Uhr wird die Stockbörse geschlossen. Aber das Spiel hört darum nicht auf. An der linken Seite der Säulenhalle sammeln sich zahlreiche Gruppen und die Geschäfte beginnen von Neuem. Erst gegen fünf Uhr verlassen die Habituels des grünen Tisches in Masse den Kampfplatz, und gerade diese Zeit ist’s, welche der Beobachtung den reichsten Stoff reicht. So lange noch die Karten liegen, so lange ist auch der unglücklichste Spieler nicht ohne Hoffnung; wenn aber die allgemeine Abspannung die Geschäftslust getödtet hat, wenn der letzte Verkäufer kein Gebot mehr findet, dann äußert sich das Resultat des Tags auf den meisten Gesichtern unverholen und sehr oft auf recht malerische Weise. Die Gewinnsucht, das gemeinschaftliche Motiv, wirft nun die beschwerliche Larve, als nutzlos, ab. Jeder überschlägt seine Tagesrechnung. Es lagert sich ein widerliches, unbefriedigtes Grinsen auf dem Antlitz des Gewinnenden; Angst, Furcht, Gewissensbisse, oder schlecht verhüllter Aerger und Neid staffiren die Gesichter der Andern. Vollendete Spielerkälte sieht man bei den Wenigsten. Die heitersten Züge haben noch die Mäkler. Sie, die Priester am Altare der niedrigsten Leidenschaft, sind die Immergewinnenden, sie sind die glücklichsten Leute der Börse.

Während der letzten Börsestunde kommen die Abendblätter, und ihre Neuigkeiten geben dann und wann den Geschäften frisches Leben. Gerüchte machen übrigens zu jeder Börsenstunde die Runde; oft ohne sie an den Kursen zu spüren. Dahingegen merkt man wichtige Neuigkeiten fast immer an den Preisen der Fonds, ehe sie das Ohr vernimmt. In Paris interessirt sich bei den Staatspapierkursen Jeder, der durch seine amtliche Stellung, oder auf Schleichwegen, zu den Staatsgeheimnissen gelangt. Der König und die Prinzen, die Minister, die Kammerdiener und Maitressen – sie Alle spielen an der Börse, oder lassen für ihre Rechnung durch Andere spielen. Viele über Nacht aufgeschossene glänzende Vermögen datiren von der halbstündigen Verheimlichung einer Depesche, oder der raschen Ausbeutung einer telegraphischen Nachricht.