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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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und das Helotenverhältniß im Volke zu befestigen gesucht. Wo Verfassungen mit Volksvertretung bestehen, da hat man schlau das Wahlrecht an den Besitz gebunden und den Völkern weiß gemacht, daß Menschen, welche nicht eignes Hab und Gut in Menge zu verlieren haben, am Landeswohl nie aufrichtig Theil nehmen könnten. Man schämt sich nicht, den Besitzlosen und Minderbegüterten auch noch das sittliche Gefühl abzusprechen, und macht sie ehrlos, indem man sie ihrer Rechte beraubt. Und doch ist nichts alltäglicher, als die Erscheinung, daß der Begüterte durch schnöde Künste und Bestechung sich in die Volksvertretung einschwärzt, daß ihn häufig die verächtlichsten Motive hineinführen, daß er, als Deputirter, nur egoistische Zwecke verfolgt und bereit ist, der Macht sein Gewissen zu verkaufen. Ich kenne ein Land, wo die Bauern vorzugsweise die Bänke der Volksvertretung füllen. In Norwegen hört man Nichts von einer Gesetzgebung, welche die untern Klassen zu Spitalbürgern oder Bettlern zu machen trachtet. In Frankreich hingegen und anderwärts, wo die reichen Leute, oder die Beamten der Regierung, allein als sogenannte Volksdeputirte die Auflagen vertheilen, werden wir stets das Bestreben erkennen, den größten und schwersten Theil derselben den Armen aufzubürden. Muß sich nicht das Herz empören, wenn man die Einnahmebudgets der meisten europäischen Staaten aufmerksam betrachtet? Welche Bedürfnisse zahlen die meisten Steuern? die unentbehrlichsten. Wer hat folglich die Lasten am schwersten zu tragen, unter welchen die Völker stöhnen? der arme Taglöhner, der Arbeiter, der Bauer, der geringe Handwerker. Der Landmann und der schlichte Bürger, die ihren Söhnen nicht das lernen lassen können, was sie vom Blutzehnt frei macht; sie müssen auch noch das Kind hergeben, den Ueberfluß des Reichen gegen ihre eigene Noth zu schützen. Salz und Brod, Bier und Fleisch werden durch Abgaben vertheuert, da doch der Luxus der Reichen entweder gar nicht, oder nur um so viel besteuert ist, um den Schein zu decken. Während die Quadratruthe Feld, auf welcher die arme Wittwe unter dem Schweiße ihres Angesichts einen Korb Kartoffeln baut, eingeschätzt ist, hat der Banguier Staatspapiere zu Hunderttausenden in der Truhe und sein Vermögen ist unbesteuert. Blutsauger unter allen Gestalten hängen am Geschäftsmann, der sich sorgt und plagt vom Morgen bis zum Abend, um ihm den Thaler zu entziehen, welchen sein Fleiß erwerben möchte: aber die kolossalen Vermögen unproduktiver, nutzloser, stolzer Geldkönige, deren ganze Jahres-Arbeit darin besteht, einen Haufen Coupons abzuschneiden, bleiben von allem Druck und Zwang befreit, und Einkünfte von Hunderttausenden helfen ungeschmälert Millionen zu Millionen häufen.
Wenn eine Regierung das thut, – wenn eine Regierung, welche Millionen der Armuth abpreßt, nachher Hunderttausende zur Verpflegung siecher Armen hergibt, dann klebt diesem Verfahren so wenig Verdienst an, als der Handlung des Diebs, welcher einen Thaler stiehlt und einen Groschen zurückschenkt. Oder geschieht es wirklich aus Zärtlichkeit für das Volk, daß man ihm das letzte Hemd auszieht, um ihm, nackt, nachher die Spitalthür zu öffnen? Man möchte es uns weiß machen; aber ich weiß es besser. Aus Furcht geschieht es, aus
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/238&oldid=- (Version vom 17.2.2025)