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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/233

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des höhern Geschmacks, mit Gemälden, Skulpturen u. d. gl. zu zieren und Bibliotheken und Kunstschätze zu sammeln.

Welchen Einfluß übt aber dies rastlose Dichten und Trachten, dies ewige Treiben und Jagen des Geschäftslebens, dieser rasche Umschwung in den äußern Verhältnissen, wo, wie auf dem Rade der Glücksgöttin, der Eine steigt, der Andere fällt, dies Ebben und Fluthen ohne Ende, auf die tiefern Regionen des Menschenmeers aus? Liverpool hat seine Arme und sein Elend, seine moralischen Sümpfe, wo Verbrechen und Liederlichkeit, wie Molche, brüten, gleich allen großen, an Industrie und Handel reichen Städte; denn die Vertheilung des Gewinns ist hier, wie allenthalben, ungleich. Der Fabrikherr, der Kaufmann hat zwar keine Plantagen und keine Sklaven; die Arbeiter sind frei und vor dem Gesetze ebenbürtig mit ihrem Brodherrn, und ihre Dienstleistungen, so wie der Lohn dafür, gründen sich auf freien Vertrag. Dies hindert aber den Kaufmann und Fabrikherrn nicht, diesen Lohn so niedrig zu stellen und jene so schwer zu machen, als nur möglich: sie nehmen den Wein und lassen den Arbeitern die Trebern. Es ist in dieser Beziehung in Liverpool wie überall, und man müßte das Geschlecht des Prometheus wenig kennen, wenn man nicht wüßte, daß der Despotismus seine Wurzeln in des Menschen tiefstem Gemüthe hat.

In Liverpool ist die niedere Klasse unaufhörlich gespornt zu einem thätigen, geschäftigen, angestrengten Leben, ohne genügenden Ersatz dafür zu finden; sie reibt sich daher im Ganzen schnell auf, und im Streben, jeden Augenblick, wo sich Gelegenheit dazu findet, zu schwelgen, verzehren sich die physischen und die moralischen Kräfte gar bald. Nur die kleinere Zahl überstarker Naturen triumphirt, die Uebrigen gehen unter, oder Siegthum und Krankheit werfen sie in des Elends Arme. Man durchwandere z. B. Dalestreet, wo Branntweinschenke an Branntweinschenke sich reiht, an einem Sonnabend Nachmittag, oder gehe durch Churchstreet, den Sammelplatz des niedrigsten Lasters: – man wird schaudern über Scenen der Brutalität, in denen die Aktoren tief unter das Thier herabsinken. – In Liverpool bestehen 1800 Branntweinshäuser, 800 Weinkneipen und Spielhäuser und eine ungezählte Menge anderer Sammelplätze des Lasters und der Verbrechen. Besonders sind die Saloons berüchtigt, wo Diebe mit Freudenmädchen der niedrigsten Klasse zum Tanz zusammenkommen und ihre Gelage halten. Man rechnet, daß die Verbrecher-Bevölkerung in Liverpool jährlich durch Raub und Diebstahl, Betrug und Schwindeleien über eine Million Pfund Sterling erwirbt.

Dem Reichthum dieser großen Stadt hängt der Pauperismus wie ein Fluch an; er ist die Kehrseite eines täuschenden Scheins von Glück. Doch hat Liverpool nicht vernachlässigt, Elend zu mindern. Aus dem großen Gemeindevermögen der Stadt ward sehr viel auf Wohlthätigkeits-Anstalten verwendet. Liverpool hat Arbeitshäuser, in welchen 3000 Arme Zuflucht finden, schwimmende Hospitäler auf den Docks für kranke