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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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lehrte dem wilden Volk Ackerbau und Gewerbe des Friedens und errichtete das erste christliche Kirchlein. Schon Ludwig der Fromme fand in Hildesheim eine so zahlreiche Christengemeinde, daß er, der den Dom erbauete, das Stift zum Bischofssitz erheben konnte. Er verlieh dem Oberhirten einen weiten Landstrich und im Laufe der Zeit kamen ansehnliche Schenkungen hinzu. Das Bisthum wuchs heran zu einer weltlichen Macht, die mit den benachbarten Fürsten es aufzunehmen sich erkühnte. Oft hatten die Bischöfe Fehde; mancher trug den Panzer häufiger, als die Stola.
Bischof Johann IV. hatte im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts Krieg mit Herzog Heinrich dem Jüngern von Braunschweig. Es war ein unglücklicher. Er verheerte das Hildesheimer Land und endigte damit, daß der vom Kaiser Karl V. unterstützte Herzog mit dem größten Theile des Bisthums beliehen, der Bischof selbst aber, als Reichsfürst, in die Acht erklärt wurde. Mit Mühe konnte er sich in seinen geistlichen Würden erhalten; die weltliche Macht blieb ihm genommen. Hildesheim kam an Braunschweig; das Domkapitel behielt nur einige Aemter. Unter dem Schutze der protestantischen Fürsten drang nun die Reformation ein; in Hildesheim, dem Sitze des Bischofs selbst, wurde der Abfall groß; fast die Hälfte der Einwohner und Geistlichen sagten sich von der ältern Kirche los und traten zur jüngern über. Ueber hundert Jahre nachher führte der dreißigjährige Krieg eine Restauration herbei. Bischof Ferdinand bekam durch einen Vergleich mit Braunschweig, 1643, den weltlichen Besitz des Bisthums zurück, und noch einmal wurde so die fürstliche Würde an den Krummstab geknüpft. Das dauerte bis 1802, bis zum Lüneviller Frieden, der die Säkularisation so vieler Stifter zur Folge hatte. Bonaparte warf damals die deutschen geistlichen Länder den größern Reichsfürsten hin, und sie gaben dagegen ihre Zustimmung zu Frankreichs Raub am schwachen Reiche. Hildesheim wurde der Krone Preußen zugesprochen; preußische Regimenter rückten ein und nahmen Besitz.
Tausend Jahre hatte, mit der einzigen Unterbrechung, welche die Braunschweiger Herrschaft herbeiführte, der Krummstab über die Städte und Dörfer, über die Hügel und Thäler des Hildesheimer Landes gewaltet. Urplötzlich kam der Wechsel, der eine ganze Reihe von Umwandlungen nach sich zog. Denn nachdem einmal die friedliche Aufeinanderfolge von regierenden Bischöfen ihre Endschaft erreicht hatte, sollte sich die Herrschaft über das Fürstenthum alle Paar Jahre ändern. Die preußische Verwaltung, die französische Administration, die westphälische Regierung, das abermalige Regiment Preußens folgten rasch auf einander. Es waren dieß die Uebergänge zu der durch den europäischen Frieden wieder herbeigeführten Dynastie Braunschweig-England, welche zu ihrem Hannover Hildesheim als neue Zuthat bekam, bis das Regiment eines selbstständigen Königreichs an die Stelle britischer Statthalter trat. Alle diese Wechsel waren nur Erzeugnisse der Nachbrandung jenes Sturms, der den Krummstab entwurzelt hatte.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/178&oldid=- (Version vom 13.2.2025)