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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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dummen Zeit von gestern; so sind anderseits auch die Fürsten menschlicher und klüger geworden, und ihr Ehrgeiz sucht Bahnen auf, die nicht blos über Todtenhügel und blutgetränkte Felder führen. Wenn sie jetzt streiten an der Spitze ihrer Völker, so sind Zollpositionen ihre festen Stellungen, der Tarif ist ihr Schlachtfeld, Zollcongresse schließen die Bündnisse und vereinigen die Interessen, Handelstraktate setzen ihre Diplomatie in Bewegung. Die Industrie und ihre Verhältnisse sind die Arena, in welcher Fürsten und Völker unblutige Kämpfe führen.
In solchem Kriege war ehedem England stets alleiniger Sieger, und darum ward es so groß. Aber das Geheimniß seiner Motive, seiner Ziele und seiner Kriegskunst ist längst verrathen; in verlorenen Feldzügen haben auch andere Völker Taktik gelernt, und der Sieg hat aufgehört, ein britische Monopol zu seyn. Großbritanniens Industrie führt auf dem europäischen Continente nicht mehr ein monarchisches Zepter. Alle Tage verliert es eine Provinz, alle Tage verengert sich der Kreis seiner Herrschaft, jedes Jahr ist mit Niederlagen und Verlusten bezeichnet. Sieg ermuthigt die Sieger zu neuen Siegen. Das continentale Europa wird nicht eher innehalten in diesem Kampfe, als bis es das Joch der englischen Industrie gänzlich abgeschüttelt hat. Industrielle Unabhängigkeit von England ist das Losungswort des Continents geworden, und selbst die am längsten unterdrückten, am vollkommensten ausgesaugten Staaten nehmen es auf und rüsten sich zum Widerstande.
Am erfolgreichsten haben bis jetzt Frankreich und Belgien gestritten. Belgien zu allermeist. Dies kleine Land, das nur halb so groß als Bayern ist, hat sich, von einem weisen und guten Könige geleitet, binnen 3 Jahrzehnten zum industriereichsten Staate auf dem festen Lande erhoben und sich den Namen „Kleinbritannien“ verdient.
Unter den Elementen der belgischen Industrie sind die des Mineralreichs die wichtigsten; – Steinkohlen und Eisen stehen oben an. Belgien verarbeitet 85 Millionen Centner Steinkohlen jährlich, die es in seinen drei großen Kohlenbecken bei Mons, Charleroi und Lüttich gewinnt. Die belgische Sleinkohlenablagerung streicht als ein fünf bis zehn Meilen breiter Streifen von der französischen Grenze gegen die Kohlenbecken des Niederrheins und Westphalens hin, und steht mit diesen wahrscheinlich in Verbindung. Das reichste Kohlenbecken ist das von Mons, welches hundert und dreißig Steinkohlenflötze über einander gelagert enthält; nach ihm folgt das von Lüttich. Es soll über 80 Flötze enthalten, von welchen 64 bauwürdig sind, die zum Theil eine Mächtigkeit von 6 Fuß erreichen. Die größte Tiefe, in welcher hier gebaut wird, ist 1000 Fuß. In geringer Entfernung von den Kohlendistrikten hat die gütige, vorsorgende Hand des Schöpfers unermeßliche Schätze von Eisenerz in dem Schooße der Erde verborgen: so bei Charleroi, bei Namur, bei Lüttich. In diesen Städten wiegt die Eisenfabrikation so sehr über, daß fast alle übrigen Gewerbe mittelbar oder direkt mit ihr in Beziehung, oder in Abhängigkeit treten.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/17&oldid=- (Version vom 30.1.2025)