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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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Politik die Völker in Haß gegen einander aufgezogen. Durch diesen Haß machte man sie zu blinden Werkzeugen der Mächtigen, er ward die Mutter von Mord und Raub und Diebstahl im Großen, von Dem, was in der Sprache der Könige Krieg und Eroberung heißt. Die Erkenntniß, welche die Zeit gebracht hat, nahm von den Völkeraugen die farbigen Gläser weg, welche die Schlauheit der Regierenden ihnen vorgeschoben hatte, damit kein Volk das andere in seiner wahren Gestalt sähe, und friedlich und einig schießen nun die Nationen wie Weberschiffchen in einander, und viele Reiche und ganze Welttheile webt der gemeinschaftliche Vortheil zusammen. Die Nationalgefühle kräftigen sich nicht nur, sie veredeln sich auch; sie sind sittlich geworden, und während sie sonst herausfordernd und aggressiv waren, wollen sie jetzt nur die Abweisung des Unrechts. Ein Eroberer, ein Napoleon, wäre heut zu Tage eine platte Unmöglichkeit.
Noch einflußreicher äußert sich der Umschwung in den Verhältnissen des Handels und der Gewerbe. Jahrhunderte lang waren die bürgerlichen Gewerbe in enge Schranken eingeschlossen. Jedes Handwerk stand festgewurzelt in der Gesellschaft, wie ein Baum, der von Geschlecht zu Geschlecht einerlei Früchte trägt. Staats- und Zunfteinrichtungen halfen einander, um dem Geiste des Handwerkers die Flügel zu beschneiden, damit er sich nicht über den Boden der Niedrigkeit und Geringschätzung erheben könne. Seine Bahn war lang und eng. Wer in derselben durch Zufall oder Gunst voran war, der konnte nicht überholt werden; Wetteifer war ein Unding. Da hat die Zeit dem hinfälligen, morschen Handwerksthum, unter dessen löcherigem Schirm es Niemandem mehr recht behagen wollte, einen Todesengel gesendet, daß er die Erde schneller von ihm befreie; die Industrie ist gekommen, aufbauend mit der einen Hand, zerstörend mit der andern, Schrecken, Haß und Trauer aussäend unter die Schaaren, welche zu den alten Fahnen stehen, während sie den Völkern, die sie liebkosen, ihr Füllhorn reicht, und von ihnen gepriesen ist als der Stolz der Gegenwart. Der negative Theil ihres Waltens hat, es ist nicht zu leugnen, allerdings etwas Dämonisches. Er hat Millionen das letzte Stückchen Brod ohne Erbarmen aus dem Munde genommen, wird noch andern Millionen den letzten Pfennig und die letzte Hoffnung rauben, lähmt Tausenden und aber Tausenden die Hände und verdammt sie zum Müssiggange und zum Hunger. Ihn, den Handwerkerstand, trifft ein schweres Verhängniß; aber das Naturgesetz will es; es ist unvermeidlich. Damit die Lebenden Platz finden, müssen die Todten begraben werden. Jede Gegenwart wandelt auf den Grüften der Vergangenheit, und es wäre Thorheit, darum der Gegenwart zu fluchen.
Die Industrie ist eine rechte Tochter des Jahrhunderts. Was das Handwerk unterdrückte, hat sie wieder aufgerichtet. Sie hat den Menschen, namentlich den begabten Menschen bürgerlicher Stände, die lange verschlossen gewesenen Laufbahnen geöffnet; sie macht es ihnen möglich, ihre Geisteskräfte und Talente in größerer Freiheit nützlich zu gebrauchen und zu einer Geltung zu bringen, die sie vorher niemals gehabt haben.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/15&oldid=- (Version vom 26.1.2025)