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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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der Lorenz- oder Laurenzi-Berg, ein grünender Rücken, auf welchem, wie die Sage lautet, die heidnischen Böhmen das licht- und wärmespendende Feuer göttlich verehrten. Eine im Zickzack herablaufende Mauer gibt der Anlage das Aussehen eines Kastells. Kaiser Karl IV. ließ sie erbauen, um den Armen durch Arbeit Brod zu verschaffen und Hungersnoth abzuwenden.
Auf der entgegengesetzten Seite breitet sich die Gegend weit aus, mit anmuthigen Hügeln und mit Landhäusern der Reichen und den Schlössern des Adels besetzt. Ganz nahe aber steht Tycho Brahe’s berühmtes Observatorium, eine der Wissenschaft heilige Stätte. Der Styl dieses merkwürdigen Gebäudes hat etwas Orientalisches; doch nimmt es sich mit seiner Gallerie und Säulenhalle stattlich aus und ist der Schmuck des Schloßgartens, dessen hohe Baumgruppen der städtischen Umgebung Reiz und Abwechselung verleihen.
Vom Thurme herabgestiegen, betreten wir die Kirche. Der Dom von St. Veit ist eine gemeinsame Stätte für die monumentalen Denkmäler der kirchlichen und weltlichen Macht des Landes. Er ist das Erbbegräbniß der böhmischen Könige und die Gruft der böhmischen Heiligen und Kirchenfürsten, deren Denkmäler Wände, Seitenkapellen und Altäre bedecken und anfüllen. Schade, daß die Stürme des religiösen Fanatismus und des Kriegs nicht immer schonend an diesem Gotteshause vorüber gingen: denn vieles Treffliche an Grabsteinen und Bildwerken ist gewaltsam zerstört oder verdorben.
Der Löwe des Orts und der Magnet, der die Gläubigen in großen Schaaren nach dem Tempel zieht, ist der Sarg des heil. Nepomuk. Von massivem Silber gefertigt, steht er am Hochaltar, umgeben von einer Glorie silberner Engel. – Nicht weniger prachtvoll und merkwürdig ist die Kapelle des heil. Wenzel, der Böhmen erster christlicher Beherrscher. Wenzel ward von seinem eigenen heidnischen Bruder erschlagen, welchen die fanatische Mutter zur Unthat gereizt hatte, um die alten Götter an dem abtrünnigen Erstgebornen zu rächen. Man sieht mit Grauen die vom Blute gefressenen Rostflecken an dem Löwenkopf und dem Messingring, an welchen der arme Wenzel sich flehend festklammerte, als sein Bruder das Kainswerk verübte. Helm, Schwert und der drahtgeflochtene Panzer des Erschlagenen hängen dem verhängnißvollen Ringe zur Seite. Sie gehören zu den Reichsinsignen; denn Böhmens König kann keinen Ritter des Wenzelordens machen, – des einzigen böhmischen Ordens, – er sey denn angethan mit dem Kleide des Geopferten. Mit diesen Dingen des geschichtlichen Grauens macht die rohe Pracht des Orts einen wunderbaren Contrast. Alles strahlt hier von Gold und Silber, man sieht Zierrathen aus großen, viereckigen, plump gefaßten Edelsteinen und ganze Tafeln von Smaragden, Topasen, Chrysolithen, Türkisen etc. sind an den Wänden befestigt.
Ermüdet verlassen wir den Tempel. An der Burg werfen wir im Vorübergehen einen Blick auf das Fenster im böhmischen Ständesaal, durch das einst die kaiserlichen Räthe den welthistorischen Sprung auf den
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/118&oldid=- (Version vom 9.2.2025)