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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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trägt. Seine Anbaue und Fenster, die untere Gallerie mit den Arkaden, die große Uhr, die steinernen Standbilder in den Nischen, Alles schaut so wunderlich aus alten Zeiten herüber. – Vom Ring aus winden sich die Straßen der Altstadt mit den altersgrauen Palästen und den soliden Steinmassen drei- und vierstöckiger Wohnhäuser winklicht und festungsartig bis zu den neuern Stadtquartieren fort, wo sie sich luftig, breit, geräumig ausdehnen. So auch in der Kleinseite, der Stadt des Adels, der Beamten, der Offiziere. Sie liegt am Fuße des Hradschin, ist schon eine halbe Bergstadt und enthält eine Menge Paläste, unter andern den Wallenstein’schen, der, ein wahrer Coloß, des gewaltigen Mannes, der ihn erbaute, würdig ist.
Der Weg nach dem Hradschin führt über die Moldaubrücke. Sie ist größer als die Dresdner und die Regensburger, und so breit, daß sich drei Wagen einander ausweichen können, ohne die Fußgänger zu gefährden. Von ihrer Mitte ist die Aussicht bezaubernd. Aufwärts prangt der Hradschin, abwärts schweift der Blick über die stattlich umsäumten Ufer des Stroms und die sich auf seinem Busen wiegenden Inseln. Eine Krümmung entzieht die Moldau dem Blicke, und ein Sattel von bewaldeten und mit Schlössern und Klöstern, oder Landhäusern besetzten Bergen begrenzt die Vista. Im Hintergrunde sieht man die alte Bergstadt Wischerad auf der Nachbarshöhe des Hradschin, mit ihren Thürmen, und den Lorenzberg mit einer Kirche zwischen Gehölz und fruchtbaren Matten. Die Brücke selbst ist die Bewunderung aller Reisenden. Sie hat sechzehn Bogen, und jeder ihrer Pfeiler ist geschmückt mit Statuen der Glaubenshelden und Gruppen von Heiligen. Peter Vischer’s und seiner Söhne kunstberühmten Händen schreibt man die bronzene Statue des heiligen Nepomuk zu, deö Schutzpatrons von Prag und ganz Böhmen. Sie ehrt die Stelle, wo der Märtyrer hinabgestürzt wurde, und den Tod fand. Wer vorbeigeht aus dem Volke, der zieht den Hut ab voller Ehrfurcht; nur der Mann mit dem feinen Rocke wandert ohne Respektsbezeugung vorüber.
Der Hradschin ragt wie ein Diadem über der Kleinseite, aus der man auf einem breiten Treppenpfad zu ihm emporsteigt. Die Palastreihe der kaiserlichen Burg bildet die Vorfronte, und dahinter erhebt sich die Sankt Veits- oder Domkirche, deren Thurm durch zwei hohe durchbrochene Bogen mit dem Schiff verbunden ist. Dieses Bauwerk im altdeutschen Style krönt den höchsten Punkt des Felsens. Keiner scheue die Mühe, den Domthurm zu besteigen, um die reiche Aussicht auf eine lachende Landschaft zu genießen.
Blaue Gebirgszüge umschließen dies Panorama wie der hohe Rand eines Kessels. Ostwärts gewendet sieht man die Moldau sich majestätisch um die Altstadt krümmen und grüne Inseln aus ihren silbernen Wogen tauchen. Südwärts tritt Wischerad hervor, der uralte Sitz der Czechenherzöge, und die grauen Trümmer des Libins, der Burg der schönen Libussa. Dieser gegenüber, auf dem Ufer der Kleinseite, erhebt sich, langgestreckt,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/117&oldid=- (Version vom 9.2.2025)