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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/114

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CCCCXXXXV. Prag.




„Prag,“ sagt Göthe, „ist in der Mauerkrone der Erde der kostbarste Stein.“ Es gibt in der That keinen Ort, der in seiner äußern Erscheinung großartiger, ehrfurchtgebietender auftritt, als Böhmens Hauptstadt. In vielen andern alten Hauptstädten malt sich uns ihr Leben nur aus der Vogelperspektive, oder aus der Ferne groß; ihre Herrlichkeit verschwindet bei näherer Betrachtung. In Prag hingegen tritt der Farbenglanz der Erinnerung überall frisch entgegen und die Vergangenheit hat die Fülle der Gegenwart zur Folie. Prag ist wie ein hundertjähriger Greis, aus dessen Gang und Blick rüstiges Mannesalter schimmert.

Mit wenigen Worten Prag zu beschreiben, auf ein paar Seiten den ganzen Cyklus seiner Schönheiten zu entfalten, in einer Viertelstunde zu allen den malerischen Punkten hinzuführen, zu allen den Denkmälern und Werken der Kunst, an welche sich weltgeschichtliche Erinnerungen knüpfen, ist unmöglich. Im großen Umriß muß ich das Bild dem Leser zeigen, und nur da und dort werde ich bei Einzelnem verweilen.

Wenn Wien vorzugsweise den Charakter stattlicher Wohlhabenheit, Berlin ein neues, fürstliches Ansehen hat, in Köln und Nürnberg sich die Zustände alter Zeiten widerspiegeln, in Frankfurts weitem Palastcyklus um den alten Stadtkern sich Krösusreichthum brüstet, die Städte der alten Hansa des Handels rührigen Geist verrathen, so ist Prag die königliche durch Alterthum, Bauart und Natur zugleich. Am meisten rechtfertigt sich diese Charakteristik, und am imposantesten stellt sich Prag aus dem Thorweg des Thurms an der Moldaubrücke dar, wenn man nach der Kleinseite geht. Dort sieht man den Hradschin mit seiner prächtigen Kaiserburg, und die dreispitzige Domkirche mit ihrer Thurmpyramide über die Straßen und Märkte ragen, und der stolze, belebte Strom, die altersgrauen Kirchen und Paläste der nächsten Umgebung, die prächtige Brücke mit ihren colossalen Statuen setzen ein Bild zusammen, wie es in keiner Stadt Deutschlands großartiger zu schauen ist.

Auf unserer raschen Wanderung durch Prag weilen wir zuerst in der Altstadt. Hier fesselt der große Ring unsere Schritt, – ein weiter, viereckiger Platz mit dem Rathhause, der Trinitatiskirche, der hohen Mariensäule, zum Andenken der Befreiung von den Schweden errichtet. Hier ist die Hauptwache, der Fiackerplatz, der Mittelpunkt des städtischen Lebens und Treibens. Das Rathhaus ist ein uraltes, gothisches Gebäude, mit einem viereckigen Thurm, der eine Gallerie mit vier Thürmchen als Dachstuhl