Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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Thürmen rechtwinklich begrenzten Pallaste, deckt das Reichsarchiv von Schottland. Links, am Fuße des Burgfelsens, hebt sich der nach griechischem Muster erbaute Tempel des königlichen Instituts zur Beförderung der Wissenschaften empor; hinter diesem die Johanniskirche mit ihrem seltsam geformten, zweispitzigen Thurme; – der schlanke, hochbekuppelte Säulenkreis rechts ist der Dom der Georgenkirche und die weiße Colonne, die das Auge nahe am rechten Rande des Bildes anzieht, ist ein Denkmal, welches die öffentliche Dankbarkeit der Edinburger ihrem großen Mitbürger Lord Melville errichtete. Jenseits der schönen Nordbrücke, welche die tiefe, beide Stadttheile trennende Schlucht, die früher ein See war, überspannt, beginnt die Altstadt mit ihren unregelmäßigen, engen, dunkeln, oft an steilen Bergwänden hinlaufenden Straßen, deren Bauart mit der durchgängig edeln der Neustadt den schneidendsten Gegensatz bildet. Da sieht man in den Berg hinein gebaute, nach Vornen 11 Stock hohe, Hauserreihen, welche auf der Hinterseite, der steilen Bergwand zu, die Hausflur im 9. Stocke haben. Auf dem Bilde nicht sichtbar, im südlichen Theile der Stadt, verbindet eine zweite, die sogenannte Südbrücke, die obere (neue) mit der untern (alten) Stadt, und ihre hohen Bögen überspannten Straßen, die sich in der tiefen, dunkeln Schlucht hinwinden. Die Häuser der Neustadt bestehen fast ganz aus Quaderstücken, und bilden rechtwinklich sich kreuzende Straßen von 1 bis 2 Meilen Länge, und 100–150 Fuß Breite. Für sich betrachtet ist sie unstreitig die prächtigste Stadt der Erde, dahingegen jene, sammt der Hafenstadt Leith als die häßlichste gelten mag, die es geben kann. Am Südende der Altstadt steht der finstre alte Pallast der schottischen Könige, Holyrood-Haus, berühmt geworden in neuester Zeit als Asyl einer flüchtigen Königsfamilie, über die Frankreichs Volk, müde mißbrauchter Gewalt, Thronverlust und ewige Verbannung aussprach. – Zu den schönsten Gebäuden Edinburgs gehören noch das mit Hörsälen für 3000 Studenten versehene Neue Universitätsgebäude, (1789 mit einem Aufwand von 1 Million Gulden errichtet) die Bank, das Parlamentshaus, die Börse. – Die Sternwarte, Nelson’s Monument, der berühmte Tempel der Hochschule – alles Baudenkmale, welche den Rücken des Caltonberges, auf unserm Bilde nicht sichtbar, zieren, werden wir später, als Gegenstand eines besondern Stahlstichs beschreiben. – Auch der historisch merkwürdigen königl. Burg widmen wir ein eigenes Blatt. –
Edinburg, das vor 280 Jahren, zur Zeit der Marie Stuart, kaum 18000 Einwohner in den ekelhaften Gassen der Altstadt zählte, hat jetzt, mit der Hafenstadt Leith, über 200,000; – und die Gewerbe und der Reichthum seiner fleißigen, rührigen Bürger haben sich verhundertfacht. Es ist dieß ein schlagender Beweis für die oft verkannte Wahrheit, daß ein üppiger, verschwenderischer, lüderlicher Hof, der das Mark eines ganzen Landes in der Hauptstadt vergeudet, einem Orte nie jenes Gedeihen geben kann, welches überall keimt, wo Fleiß und Betriebsamkeit der Bürger die Saat ausstreuen.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/150&oldid=- (Version vom 8.6.2024)