Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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Dicht an der großen Straße, welche von Edinburg nach London führt, am östlichen Ende der Hauptstadt Schottlands, erhebt sich in imposanten Massen ein hoher Felsen mit breitem Scheitel, Caltonberg mit Namen. Ein bequemer Fahrweg, aus dem Gestein gehauen, windet sich zum Gipfel, von dem man eine der grandiosesten Aussichten genießt, die unser Welttheil bietet. In einem Halbkreise, dessen Tiefe eine volle Stunde mißt und dessen beide Enden fünf englische Meilen von einander getrennt sind, liegt das Athen des Nordens, Edinburg, durch eine tiefe durch Brücken verbundene Schlucht in zwei ungleiche Hälften gespalten, zu des Schauenden Füßen. Man denke sich eine Masse von mehr als 20,000 Häusern, von etwa 140 Domen, Kuppeln, Thürmen, und schlanken Säulen, den den großen Männern des Vaterlandes geweiheten Denkmälern, überragt, über welche sich wieder, auf breitem Felsenrücken, mitten aus der Stadt die uralte Königsburg erhebt, düster die verwitterten grauen Zinnen in die Lüfte reckend. Rechts sieht man den Hafen von Leith mit einem Wald von Masten, jenseits desselben, den dunkeln weiten Busen des Meeres, wimmelnd von schneeweißen Segeln, die kommen und gehen, und von zahllosen grauen Fischerbarken belebt. Auf der südöstlichen Seite thürmt sich der pittoreske Felsengipfel des Arthursitzes auf, an dem die alte Sage der Mährchen viele von dem königlichen Helden der Ritter von der Tafelrunde knüpft, und an dem Fuße dieses Colosses umgibt das Amphitheater der Salisbury-Craggs einen Theil der Häusermassen, gleichsam die Stadt zu umarmen trachtend. Am Horizont endlich weidet sich das Auge an den kühnen Formen von den Pentland-Bergen im Süden, oder ruht auf den nördlich in sanften Wellenlinien sich hinziehenden Hügeln von Corstorphein. Keine Hauptstadt Europa’s bietet mitten in ihrem Schooße ein so herrliches Panorama.
Nur einen Theil desselben rückt der Stahlstich vor unser Auge. Der Felsen in der rechten Ecke des Vorgrundes gehört zum Caltonberge – er war der Standpunkt des Zeichners. Die eine unabsehbare 150 Fuß breite Straße bildende Doppelreihe von Palästen ist Highstreet, die schönste Straße der Edinburger Neustadt, und eine der prächtigsten der Erde. Die mit Mauern und Thürmen eingeschlossenen zwei großen, finsteren, scheinbar den Zeiten des Faustrechts angehörenden Gebäude, im altflorentiner Style, sind die Hauptgefängnisse Bridewell und New-Prison. Jene das Auge fesselnde Kuppel auf der rechten Seite der Highstreet, über dem von 4
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/149&oldid=- (Version vom 8.6.2024)