Hugo Oehmichen[1] wurde am 10. März 1843 zu Borsdorf bei Leipzig geboren, wo seine Eltern ein kleines Produktengeschäft betrieben, siedelte aber nach einigen Jahren mit seinem Vater Fürchtegott Oehmichen – die Mutter verlor er so früh, daß er sie nicht kennen lernte – nach Brockwitz bei Meißen über. Hier besuchte er die Dorfschule, während sein älterer Bruder in der nahen Stadt die Schlosserei erlernte. Die Zeit, welche er den fröhlichen Spielen in der Dorfgasse abmüßigte, widmete er der Herstellung und Verbesserung eines Puppentheaters, für welches er leicht ein dankbares Publikum fand. Wenn für den geistigen Unterhalt eines solchen ein gewisser Vorrat an Stoffen und einige Phantasie erforderlich war, so verdankte er den Besitz des ersteren und die Erweckung der letzteren wohl dem Vater, der sich durch fleißige Lektüre illustrierter Zeitschriften mit den Dingen der großen Welt da draußen in Beziehung erhielt. Das mechanische Geschick aber, welches bei dieser Beschäftigung hervortrat und sich entwickelte, fand weitere Anregung durch häufige Besuche in der Lehrwerkstatt seines Bruders, und so bildete sich auch bei ihm der Gedanke aus, Schlosser zu werden, wobei er vor allem den Wunsch hegte, dermaleinst kunstreiche Beschläge und Gitter bilden zu können. Um dergleichen Werke schon im voraus zeichnen zu lernen, erlangte er es bald, an dem Zeichenunterrichte des Bruders, der eine Sonntagsschule besuchte, teilnehmen zu dürfen. Mit höchstem Eifer zur Sache legte er sonntäglich den Weg zur Stadt zurück und zwar barfuß, um die teuren Stiefel zu schonen, die er erst bei der großen Brücke anlegte.
Die guten sauberen Zeichnungen, die der Knabe lieferte, veranlaßten den wackeren Zeichenlehrer zu dem Erbieten, ihm unentgeltlichen Privatunterricht zu geben. Aus der niedrigen Wohnung des originellen, in einen Kaftan gehüllten und mit einem Lichtschirm bewehrten Alten – Köhler (s. w. o.) war sein Name –, neben welchem seine Frau für die ab- und zugehenden Schönen der Stadt allerlei Kopfputz fertigte, hat er außer einer ziemlichen Fertigkeit im Zeichnen von
- ↑ Entnommen dem Lebenslaufe Oehmichens in dem Werke: Kupferstiche nach Werken neuerer Meister in der Königl. Gemäldegalerie zu Dresden. Biographischer Text von W. Roßmann. 3. Lieferung. S. 11 bis 14 (darin auch der Steuerzahltag, gest. von R. Petzsch), sowie nach eigenen Mitteilungen des Künstlers. Vgl. ferner Lützow, Beiblatt 1874. S. 360. 578. 684. 1875. S. 443. 1877. S. 580 1878. S. 715. 1879. S. 175. 1880. S. 186. 684. 1884. S. 549. Desselben Zeitschrift 8, 120. 17, 345. Die Kunst für Alle 2, 48. 87. 371. Müller, biographisches Künstlerlexikon 1882. S. 399.
Wilhelm Loose: Lebensläufe Meißner Künstler. C. E. Klinkicht & Sohn, Meißen 1888, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lebensl%C3%A4ufe_Meissner_K%C3%BCnstler.pdf/77&oldid=- (Version vom 9.1.2025)