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Seite:Lebensläufe Meissner Künstler.pdf/29

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ergriffen war, so war ich doch auch, überzeugt, daß die moderne Technik ihre volle Berechtigung habe und die ernsten innigen Bestrebungen erst volkstümlich wirken können, wenn die äußere Erscheinung der Gestalten in natürlichster Weise gegeben wird. Mein Wunsch wurde leider nicht erfüllt, wohl aber mir erlaubt, nach Düsseldorf zu gehen. Ich bin daselbst über ein Jahr gewesen, konnte mich aber nicht entschließen, trotzdem so viele außerordentlich tüchtige Künstler in Düsseldorf schafften, in ein Atelier einzutreten. Ich fand nicht, was ich suchte und arbeitete deswegen ohne Meister. Ich führte in lebensgroßen Figuren ein Bild aus „Faust siehet Gretchen im Kerker wieder“. Das Bild wurde in Düsseldorf sehr liebenswürdig von Künstlern und der Kritik aufgenommen. Ich verkaufte es; dasselbe erwarb nach dem Tode der Besitzerin ein Kunsthändler, der es mit andern Bildern versendete, wobei es in einem Lagerraum in Bremen verbrannte. Auch in Dresden hatte das Bild auf der Ausstellung Beifall gefunden. Das Leben in Düsseldorf war vielfach anregend; ich war befreundet mit einem Kreise von jungen tüchtigen Männern verschiedenen Standes; das Leben im Künstlerverein Malkasten, einige Reisen am Rhein, besonders das altehrwürdige Köln mußten mir sehr gefallen. In Düsseldorf hatte ich auch das Glück, Cornelius das erste Mal zu sehen; er kam nach dreißigjähriger Abwesenheit auf Einladung der Künstlerschaft in seine Vaterstadt. Mein Meister Schnorr hatte mir einen Brief geschickt, den ich ihm überbrachte. Obwohl Cornelius sehr klein war, so machte er doch einen gewaltigen Eindruck durch seine tiefliegenden, wunderbar geistleuchtenden Augen. Er nahm mich sehr freundlich auf, und trotzdem er sich vorgenommen, wegen Mangel an Zeit in kein Atelier zu gehen, so besuchte er doch mein Atelier auf längere Zeit, wobei er sich sehr gütig über meine Arbeiten aussprach. – Nun ging es nach Italien; ich habe mich besonders längere Zeit in Venedig, Pisa, Florenz und Rom aufgehalten. Die Zeit meiner Reise war nicht recht günstig; der Kampf für die Vereinigung Italiens war geschlagen, Toskana, Neapel zum Königreich Italien vereinigt, Venedig, Verona u. s. w. noch österreichisch, der Kirchenstaat von den Franzosen besetzt. Es wurde lebhaft gewarnt vor dem Reisen zu Lande, weil viele entlassene Soldaten, besonders Neapolitaner, als Banden zusammengeschart, die Reisenden belästigten; ich habe deswegen auch keine größeren Reisen zu Lande gemacht. Als vom Dampfwagen aus Rom sichtbar wurde, rief alles: „Roma“. Mir pochte mein Herz so wie einst, als ich das erste Mal vor dem Vorhang gesessen hatte, der die Bretter, welche die Welt bedeuten, verdeckte.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Loose: Lebensläufe Meißner Künstler. C. E. Klinkicht & Sohn, Meißen 1888, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lebensl%C3%A4ufe_Meissner_K%C3%BCnstler.pdf/29&oldid=- (Version vom 25.1.2025)