Jeder empfängliche Mensch muß sich freuen, wenn er in Meißen geboren ist und daselbst seine Jugendzeit verleben konnte. Es wird wenig Städte geben, welche so viel Anregendes für die jugendliche Phantasie bieten, als das alte liebe Meißen in meiner Jugend. Die Wälder der Umgegend, das idyllische Triebischthal, die mächtigen Granitblöcke der sagenumwobenen Riesensteine, das alte Kloster vor der Stadt, die Albrechtsburg, die innere Stadt und noch vieles andere boten der Jugendlust die herrlichsten Plätze. Höchst interessant war auch unser altes Schulhaus in dem Franziskanerkloster. Dort wirkte unser lieber hochverehrter Rektor Dietrich wie ein kleiner König, und wohl alle seine noch lebenden Schüler gedenken seiner mit Dankbarkeit. Er war ein echter Knabenlehrer, streng, aber gerecht. Die Duckmäuser waren ihm zuwider; er verzieh leicht einen frohen, mutwilligen Streich, aber nie eine Gemeinheit. Die Hauptsache aber war, daß wir etwas Tüchtiges bei ihm lernten. Auch Konrektor Scharfe, den ernsten Mann mit den tiefblickenden Augen habe ich in dankbarem Andenken. Den Zeichenlehrer Köhler darf ich auch nicht vergessen; er war der erste Lehrer von so manchem tüchtigen Künstler. Rektor Dietrich suchte mich mehrfach zu bereden, in die polytechnische Schule in Dresden einzutreten, um Ingenieur zu werden, aber meine Lust zum Malen war größer, und nachdem Superintendent Dreschke als höchste Autorität meine Zeichnungen sehr gelobt und erklärt hatte, daß ich Maler werden müsse, so war der Rektor auch einverstanden. Mein Vater war ein sehr intelligenter Mann; er hatte großes Interesse für Poesie und Künste, vor allem aber für Geschichte und bildende Kunst. Es ist mir noch heute erstaunlich, wenn ich an seine lebhafte Auffassung, sein Verständnis für die Kunst und seine mir gegebene Anregung zurückdenke. Er war auch darauf bedacht, daß wir Kinder etwas Tüchtiges lernen sollten; ich erhielt Extrastunden in Raumlehre, Freihandzeichnen und in französischer Sprache. Mein Vater war sofort einverstanden, als ich meinen Wunsch aussprach, Maler zu werden, wie dies auch der Fall war, als später mein jüngerer Bruder Franz denselben Wunsch hegte. Ich wurde 1847 Schüler der Kunstakademie in Dresden. Bei meinen Studien nahmen sich besonders Ludwig Richter, der Kupferstecher Thäter und Professor Peschel meiner an. Auch die Professoren Rietschel und Hähnel haben mir vielfaches Interesse bewiesen; letzterem habe ich besonders als selbständiger Künstler viel Förderung zu danken. Schon in den untern Klassen der Akademie hatte ich erkennen gelernt, daß meine Schulbildung für einen Künstler nicht hinreiche. Ich suchte durch Lesen
Wilhelm Loose: Lebensläufe Meißner Künstler. C. E. Klinkicht & Sohn, Meißen 1888, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lebensl%C3%A4ufe_Meissner_K%C3%BCnstler.pdf/25&oldid=- (Version vom 25.1.2025)