seiner Gefühlsbedeutung uns zu reiner Anschauung und damit zu einem Gefühlseindruck zu bringen, ist die künstlerische Aufgabe und Leistung. Ob wir von bildender Kunst, von der Dichtkunst oder von der Musik sprechen, gleichviel — Kunst ist Kunst und gewisse Urgesetze sind allen Kunstarten bei Verschiedenheit der Einzelerscheinungen eigenthümlich.
Sprechen wir zunächst von der bildenden Kunst, so ist es die Welt der Erscheinungen, die in ihr auf eine bestimmte, noch zu besprechende Weise Gestaltung gewinnt. Diese Welt der Erscheinungen ist gegenständlich in dinglichem Sinne. Was heißt denn Behandlung, was heißt Auffassung ohne ein solches Gegenständliche? Sie zeigen sich doch nur am Gegenständlichen, sind von ihm doch gar nicht zu trennen. Gegenstand und Formenbildung stehen in einer ganz festen Relation zu einander. Beruht denn nicht eben in dieser: in der Verhältnißmäßigkeit zwischen dem Gegenständlichen mit seinem ihm eigenthümlichen Gefühlsgehalte und der Auffassung des Künstlers der Stil, die Vollkommenheit des Kunstwerks? Diese Relation ist das Entscheidende. Wenn jene von uns bekämpfte These recht hätte, ja, warum wäre dann zu allen Zeiten die Art des zu behandelnden Stoffes oder die Wahl der Stoffe für den Künstler von so entscheidender Bedeutung gewesen? Also — ich will hier keine Ästhetik treiben, ich bringe nur allgemeine, von irgendwelchem ästhetischen System ganz losgelöste Erwägungen und Thatsachen — statt gleichgültig zu sein, ist das Gegenständliche von größter Bedeutung, denn es bedingt aus sich die künstlerische Form und bleibt bestimmend für die Art der künstlerischen Eindrücke, deren
Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)