Gefahr, daß wir unser Bestes im Äußerlichen verlieren; erretten.
Was ist denn dieses Deutschtum, das sich seine äußere Form in der politischen Einheit endlich gebildet hat, das uns zu einem großen, ja gewaltigen Volke gemacht? Und worin liegt die Kraft seines Wesens? Es ist ja nichts Anderes als eben jene Fähigkeit, jene Notwendigkeit der Verinnerlichung, wie sie kein anderes Volk in solchem Maße hat, es ist jener Drang und jenes Vermögen, von aller äußeren Erscheinung zu gunsten des im Innern erkannten und geglaubten Wesens abzusehen, es ist jenes lautere Streben nach der Tiefe. So kann es gar nicht anders sein, als daß unsere Aufgabe uns hell und leuchtend vor Augen steht: die Versenkung, weitab vom Schein, in die Tiefe!
Und hier muß es nun ganz ersichtlich werden, welche Bedeutung in dieser Zeit die Kunst für uns hat. Sie wird uns zur Führerin in jene Regionen, wenn wir sie nach ihrer ganzen unvergleichlichen Bedeutung erkennen lernen. Aber welche Kunst? Giebt es denn eine lebendige, unserem Fühlen und Sehnen unmittelbar und ganz entsprechende? Ja, es giebt eine solche, und sie ist der Inbegriff des Deutschtums in aller Welt geworden: jene erhabene Kunst, die auf der tragischen Bühne von Bayreuth daheim ist. Sie, die umfassend Das ausspricht, was von je im tiefsten Grunde der Volksseele lebte, was seit Jahrhunderten immer stärkeren und deutlicheren Ausdruck in Tönen, Worten und Gestalten sich schuf, bis das gewaltige Genie die dem Germanen eigenste Gefühlssprache: die unerforschlich-dunkle, ewig geheimnisvolle
Henry Thode: Kunst, Religion und Kultur. Carl Winter’s Uinversitätsbuchhandlung, Heidelberg 1901, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst,_Religion_und_Kultur.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)