während welcher ich an dieser Universität gelehrt habe, zwischen uns eine innere Gemeinschaft gebildet. Sie wissen, wohin ich ziele, was der Kern meiner Bestrebungen ist: eben diese Gemeinschaft!
Ich vertrete ein herrliches Wissensfach: die Wissenschaft, die sich mit der Welt der Kunst beschäftigt. Und gerade sie ist es, die mich immer wieder veranlaßt, mir der tiefen Verantwortlichkeit, die hierin liegt, bewußt zu werden, den einen Gedanken stetig fest zu halten, daß wir angesichts der Kunst nicht allein zusammenkommen, um uns Wissen zu erwerben. Wohl steht dieser Zweck an einer Universität in erster Linie, aber unser Wissen von der Geschichte der Kunst kann immer wieder nur in dem Nachfühlen der inneren Schöpferkraft großer Meister seine Begründung erhalten und mündet andererseits immer wieder in der reinen künstlerischen Anschauung. Und eben in diesem Nachfühlen, in dieser Anschauung gewinnen wir Das, was über das bloße Wissen hinaus wir erlangen wollen, was in schönen, begeisterten Augenblicken wir oft erlebt haben: die ideelle Gemeinsamkeit, ein Sichfinden in Dem, was, über die vielzerstreute und vielgetrennte Wirklichkeit individuellen Daseins hinausgehoben, als ein ungetrübtes Reich der Einigkeit sich unserem verklärten Auge erschließt. Was in der Welt und ihrer Geschichte die Ideen und die Innerlichkeit bedeuten, das offenbart uns, wie keine andere Kraft und Thätigkeit des Geistes, die Kunst. Und darum bedeutet für uns, die wir hier in solcher Meinung zusammenkommen, die Kunst nicht ein Spiel, sondern wir lernen sie erfassen als
Henry Thode: Kunst, Religion und Kultur. Carl Winter’s Uinversitätsbuchhandlung, Heidelberg 1901, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst,_Religion_und_Kultur.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)