Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf. Schöne Haartrompeten, blank und weiß, rahmten das fette, weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen. Seneïde saß am Fenster und nähte. Ihre Züge waren scharf und gezogen, die Lippen fast weiß und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervollerregten Ausdruck. Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten „Klap“ auf den Tisch, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. „Beating,“ begann sie, „war heute wieder wie sonst. Gestern, da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte – etwas – ich weiß nicht?“
Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an: „Hör, Seneïdchen, du machst die Dinge gern geheimnisvoll. Für ein junges Ehepaar ist das nichts. In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum; du wartest doch ruhig, bis die Sahne sich absteht. Na – also!“
Seneïde beugte sich still auf ihre Arbeit nieder.
Nun kamen Günther und Beate. Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern. Nichts im Leben war ihm ungemütlicher, als wenn er nicht gefiel. Bei der Toilette bemühte er sich, Peter zu gefallen, und auf der Reise dem Schaffner. „O Mama, wie blühend du aussiehst, hübsch und sommerlich. Und Tante – Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört. Geradezu heilig hab’ ich dabei geschlafen – auf Ehre. Gott, hier muß man ja gut sein.“
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)