Zum Inhalt springen

Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843) 015-020.djvu/2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sich eine slawische Schwerkraft bilden zu wollen. Da legte der Muhamedanismus sein hartes Gebot den Christen in der Bolgarei und Serbien auf. Nur Montenegro beugte seinen Nacken nicht unter das türkische Joch, sondern eröffnete den Freiheits- und Glaubenskampf der christlichen Südslawen. Zahlreiche Schaaren von Serbiern gewannen unter Ungarns Schutze und auf ungarischem Boden ein friedlicheres und glücklicheres Dasein; ein anderer Theil des Serbenstammes erkämpfte sich in diesem Jahrhunderte seine Unabhängigkeit und harrt der Zeit, wo er Bosnien dem Halbmonde entreissen könnte, mit Ungeduld entgegen.

Der politischen Zerrissenheit dieser illyrischen Slawen entspricht, und zwar in einem noch höheren Grade, die religiöse. Kärnthen, Krain, Steyermark wurden mit dem Christenthume von Deutschland aus bekannt; von hier aus erhielten sie später die Reformation, in deren Gefolge ein geistiger Aufschwung die Gemüther beseelte. Allein dem Fanatismus des XVI. und XVII. Jahrhunderts gelang es, die „Ketzereien“ in ihnen wieder auszurotten, und nun sind sie bis auf geringe Ueberreste wieder katholisch. Slawonien, Kroatien, Dalmatien gaben früh das griechische Glaubensbekenntnis auf und nur geringe Trümmer in Croatien und Dalmatien bezeugen seine frühere Herrschaft. Die Reformation fand wohl in Kroatien viele begeisterte Anhänger, aber auch bald ihren Untergang. In Bosnien und Serbien hat die griechische Kirche sich gegen alle Bekehrungsversuche der katholischen Priester behauptet und nur der Muhamedanismus hat ihr einige Tausende von Anhängern entzogen. Die ungarischen Serben haben sich in zwei kirchliche Richtungen geschieden: die Einen sind der griechischen Kirche zugethan geblieben, die Andern haben sich der griechisch-unirten zugewandt.

Mit der religiösen Spaltung ging auch die literarische Hand in Hand. Eine gemeinsame illyrische Schriftsprache hat es bis auf die neueste Zeit nicht gegeben; sondern es hatten sich bei den Illyro-Serben nach und nach gegen zwanzig mundartliche Nüancen ausgebildet. In dem grössten Theile derselben wurde auch geschrieben und gedruckt, so dass die bunteste Reihe von Winkelliteraturen entstand. So gab es eine windo-slowenische vor und nach der Reformation in dem eigentlich sogenannten Illyrien; neben ihr ging eine kroatische einher und unabhängig von ihr entwickelte sich die reichhaltige dalmatinische namentlich im Laufe des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Die griechischen Serben blieben auch nicht geistig todt und suchten seit dem vorigen Jahrhundert wieder eine Nationalliteratur ins Leben zu rufen. Da jede von diesen kleinen Literaturen auf eine selbständige Entwicklung Anspruch machte, so konnte natürlicher Weise keine ein allgemeines Interesse unter der Hauptmasse der illyrischen Slawen erregen. Schon die Verschiedenheit des Alphabets liess ein solches nicht leicht aufkommen. Die Windo-Slowenen schrieben und druckten abwechselnd in lateinischer und deutscher Schrift; in Kroatien und Slawonien hatte sich eine lateinische Schreibweise Geltung verschafft. Neben ihr war im kroatischen Küstenlande die glagolitische Schrift, eine Verstümmelung der kirchenslawischen, in Gebrauch gekommen, während in Dalmatien noch lateinische und russische Schrift sich bis auf die Gegenwart kreuzen. Nur die Serben behielten die ächt slawische Kirchenschrift bei und verstanden sich, so wie die Bolgaren erst in der neuesten Zeit, zur Annahme des russischen Alphabets.[1]

So vielfach war der Stamm der Illyro-Serben gesondert und zerfallen! Nur ein Band hielt die getrennten Glieder zusammen. Es war die gemeinsame Sprache. Mit dem Beginn einer höhern Sprachforschung unter den Slawen musste sich unwillkürlich die Ueberzeugung aufdringen, dass alle jene Mundarten und Untermundarten


  1. Uebrigens haben neuere Forschungen gezeigt, dass Peter der Grosse nicht der Erfinder des heutigen russischen Alphabets sein kann, wie man gewöhnlich annimmt; vielmehr sind schon am Ende des 17ten Jahrhunderts in einer slawischen Stadt unweit des adriatischen Meeres Bücher mit russischen (den sogenannten bürgerlichen) Lettern gedruckt worden. Die unausgesetzten Beziehungen, in welchen Peter der Grosse, namentlich wegen seiner Pläne auf Constantinopel, zu den Südslawen stand, scheinen ihm zur Verpflanzung des vereinfachten kirchenslawischen Alphabets nach Russland Veranlassung gegeben zu haben.