Es war einmal ein Graf, der war über alle Maßen klug oder er dachte doch wenigstens, daß er es sei; und weil er sich für so klug hielt, wollte er nur ein Frauenzimmer heiraten, das ihm in der Klugheit den Gegenpart thäte. Ein solches Mädchen konnte er aber nirgends finden; darum ließ er es ausrufen in allen Landen, und auch das wollte nichts helfen.
Nun lebte in dem Dorfe des Grafen ein wunderschönes Mädchen, das hieß Kathrinchen und war des Besenbinders Tochter. Das dachte bei sich: „Sollst du dein ganzes Leben lang Reiser binden? Nein, dazu sind deine Finger zu schade! Weit besser ist’s, du wirst die junge Frau Gräfin und herrschst über alles Land, so weit dein Auge blicken kann.“
Und als der Vater heim kam vom Markte, sprach es zu ihm: „Vater, geh auf das Schloß und sag dem Grafen, ich thät’s ihm an Klugheit gleich und wolle seine Frau werden.“
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/76&oldid=- (Version vom 1.8.2018)