Willen; aber sie kehrte sich zu dem Erzengel Gabriel, der sie nie verließ und der allweg mit ihr redete, wie der heil. Augustinus spricht, und sprach zu ihm: „Ach gedenk, daß du als der Abgesandte alles himmlischen Hofes zu mir kamest und sprachest: „Ave, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir!“ Nun, wie soll der Herr mit mir sein, seid mir mein Herr und mein lieber Sohn zu Hand soll sterben und jämmerlich genommen werden? Oder wie bin ich die Gesegnete unter den Weibern, so mir nun künftig ist worden der Tag, daß Viele der Juden mich heißen werden die Verfluchte unter allen Weibern.“
Der Engel antwortete ihr und sprach: „Tröste dich selbst, du süße Mutter! Es ist wahr, daß ich dich grüßte mit großen Freuden; aber nun tröste ich dich in deinen Leiden. Ich bekenne dir, edle Königin, daß du bist voll Gnaden; doch gefällt es dem Vater, daß du in diesen Tagen bist voll Leides. Merke, daß dein reiner Sohn, der ein Brunne der Gnaden ist, in diesen Tagen voll Leides werden muß. Darum wundere dich nicht, ob der Vater an dir gestattet und verhängt hat, daß du seiest mit Jammer durchgossen; denn in deiner Person und in der Person deines Sohnes ist durch den Propheten gesprochen: „O ihr Alle, die des Weges vorübergehen, sehet, ob je ein Schmerz sei gleich meinem Schmerz.“ Ich bekenne dir auch, edle Königin, daß ich sprach: „der Herr ist mit dir,“ daß dein lieber Sohn, Herr und
Franz Joseph Holzwarth: Passionsbilder. Franz Kirchheim, Mainz 1856, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Holzwarth_Passionsbilder.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)