Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp: W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen | |
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hinter ihr stehenden Liebhaber ein Briefchen in die Hand. – Ein Hund ist durch die Tänzer aufgescheucht, und springt bellend auf die Gruppen derselben zu. Er ist schöner, als jene Paare, denn sein Körper zeigt eine vollkommene Wellenlinie. – Auf dem Boden liegt ein Kissen, darauf und daneben eine Anzahl Hüte. Das seidene Kissen war in damaligen Zeiten ein nothwendiges Zubehör eines Balles, wegen des sogenannten Kissentanzes (cushion dance), einer Art von Cotillon. Was die Hüte betrifft, so gehören dieselben natürlich den Tänzern. Hogarth soll geäußert haben: ein scharfsichtiger Beschauer des Blattes werde im Stande sein, einer jeden Figur den ihr gehörigen Hut herauszulesen. Wie es scheint, war jedoch nur die Aeußerung ein Scherz. – Endlich ist noch ein Bild von Van Dyk an der Wand zu bemerken, Figur 72. Es ist ein Porträt, und wird von Hogarth wegen des Mangels der Wellen- und Schlangenlinie sehr getadelt. Hogarth sagt in der Vorrede über diesen Meister: „Sonderbar ist es, daß Van Dyk, einer der besten Porträtmaler, in mancher Hinsicht durchaus keine Ahnung von der Schönheitslinie gehabt zu haben scheint. Die Grazie, die bei ihm zum Vorschein kommt, ist nichts weiteres, als diejenige, welche ihm das Leben darbot. Es gibt ein Gemälde der Herzogin von Warton, welches von seiner Hand herrührt, Fig. 52 B 2, und aller Eleganz entbehrt. Hätte er den Grundsatz gekannt, so würde er alle Theile des Bildes nicht so durchaus ihm entgegen gemalt haben.
Die früher gemachten Bemerkungen über Vertheilung des Lichtes und der Schatten wird man in diesem Blatte ausgeführt erkennen.
Den Schluß von Hogarth’s Analyse der Schönheit bilden Bemerkungen über die Anwendung der oben angeführten Grundsätze auf Bewegung oder Handlung (action), die freilich mitunter sonderbar lauten, allein schon der Vollständigkeit wegen hier anzuführen sind, wenn man auch die Worte einer mit Hogarth gleichzeitigen Bewundererin dieses Künstlers nicht gelten lassen will: Hogarth’s Schrift werde nicht allein Malern und Bildhauern, sondern auch Erziehern, Schauspielern und Tänzern von Nutzen sein.
Zu der Mannigfaltigkeit der Formen und Außenlinien überhaupt
Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp: W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen. Literatur-Comptoir, Stuttgart 1840, Seite 1078. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hogarth_erkl%C3%A4rt_von_Lichtenberg_(Kottenkamp_Stuttgart_1840).pdf/1197&oldid=- (Version vom 29.12.2019)