solches Kind? … Sie kann noch nicht sechzehn Jahre alt sein.“
„Noch nicht fünfzehn. Sie war zwölf Jahre alt, als ich sie kennen lernte. Ihr Vater, der Kommerzienrath Holzmann, hatte, wie heuer auch, Frau und Tochter hierher gebracht. Sahen Sie den alten Mann nicht? Er war vorige Woche hier.“
„Der? Ich glaubte, daß es ihr Großvater wäre. Die Frau ist um so viel jünger.“
„Er hat spät geheirathet, ich erfuhr es damals. Ich pflegte oft mit ihm zu plaudern, und er erzählte mir manches Merkwürdige aus seinem Leben, das lange Zeit unstet war. Er hat sich in der ganzen Welt umgethan und dabei nicht nur Reichthümer, sondern auch vielerlei seltene Kenntnisse erworben. Er ist ein großer Kaufmann und zugleich ein Gelehrter. Spät machte er sich seßhaft und nahm die Tochter seines Bruders zum Weibe, dieses eitle Weib. Es wurde ihm ein Kind des hohen Alters geboren. Daß er das holde Mädchen mit seiner zitternden Liebe umgab, konnte mich nicht wundern. Aber wie Sarah an ihrem Vater hing und hängt, das ist etwas Ergreifendes. Wenn sie den Alten ansah, war in ihrem Blicke eine Angst, die man wohl bei den Müttern kranker Kinder bemerken kann. Mich fragte sie einmal mit unsicherer Stimme, ob ich ihren Vater sehr gebrechlich fände, und bevor ich noch verneinen konnte, tropften schon ihre Thränen auf meine Hand. Sie wich ihm nicht von der Seite. Für sie gab es kein Spiel und keine andere Gesellschaft, wenn er da war. Nie sah ich eine solche Kindeszärtlichkeit, so bewölkt von Bangen vor dem kommenden Verlust. Dennoch konnte sie heiter sein wie ein richtiges Kind ihres Alters. Was waren das für bezaubernde Gänge durch diesen Wald,
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/51&oldid=- (Version vom 1.8.2018)