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Seite:Hermann von Bezzel - Pflichten in ernster Zeit.pdf/11

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unsrem Volke Frieden gebracht? Kurz gesagt, ist mit dem Begriff der Sünde ihr Wesen und ihre Existenz verschwunden? Ist mit der Leugnung der Erlösung auch die Erlösungsbedürftigkeit dahingefallen? Ich ehre die ernste sittliche Arbeit in den vom alten Glauben fernen Kreisen hoch, so schwer ich an dem Mangel sittlichen Ernstes in sog. altgläubigen Kreisen trage, glaube auch, daß um des schreckhaften Widerspruchs willen zwischen Glauben und Kirchlichkeit – und Leben und Zucht Gott unsre Landeskirche in den jetzigen Kampf ums Dasein gestürzt hat. Aber ich werde nicht fehl gehen, wenn ich sage, daß der Neu- und Freiprotestantismus, sobald er von seinem Edelmetall genug gezehrt hat, den tiefen sittlichen Verirrungen nicht steuern, aber dann nicht mehr die Gegenkraft aufrufen und anbieten kann, die der alte Glaube trotz aller Verkehrtheit seiner Vertreter immer wieder in sich beschließt. Darum Treue, gegen den Christus der Kirche und sein Evangelium! Wahre Treue macht fromm und frei, wahr und echt. Das ist nicht Buchstabendienst und Formelknechtschaft, sondern die Willigkeit, dem Lamme zu folgen, wohin es geht (Offenb. 14, 4). Auch wenn es einmal aus der Landeskirche hinaus gehen sollte. Denn nicht die Landeskirche ist die Hauptsache, so wenig wie meine Erdenheimat, sondern mit dem Christus der Kirche die Kirche Christi und die Heimat im Vaterhaus. Wir sind nicht von denen, die, um mit Harleß zu reden, allen Unrat der Landeskirche, alles Unrechte und Unreine zusammenklauben, um sagen zu können: Seht, das ist die Landeskirche. Fliehet aus Babel! (Jer. 51, 6). Wir lieben unsere Landeskirche von ganzem Herzen; in ihrem Schatten sind wir aufgewachsen, in ihren Mauern wurden wir getauft und konfirmiert. Ihre Kirchenoberen haben uns mit Gebet und Auflegung der Hände zum heiligen Amte verordnet und gesegnet, in ihren Schulen haben wir gelehrt und gelernt. Ihre Liebeswerke haben wir gesehen, mit Bewunderung und Dank gesehen, vielleicht auch ein wenig verstanden, ihre Ehre war und ist die unsere und ihr Leid bewegt uns tief. Wir wissen, daß der Anlauf gegen die Landeskirche zumeist nicht deshalb erfolgt, weil sie unfromm ist, sondern weil sie zu fromm noch ist. Aber wir würden an dem Tage die Landeskirche ob auch blutenden Herzens zu Grabe tragen, wenn sie

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Pflichten in ernster Zeit. Carl Junges Buchhandlung, Ansbach 1914, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Pflichten_in_ernster_Zeit.pdf/11&oldid=- (Version vom 8.8.2016)