Von den Herbergen zur Heimat, die jede Berücksichtigung verdienen und bedürfen, wird gesagt werden müssen, daß sie ihr Tagwerk nicht ausdehnen, sondern einschränken.
So wird es das Recht der Inneren Mission sein, einmal der alten Werke treulich sich anzunehmen, zum anderen neue Aufgaben zu erkennen, aber auch abzulehnen, was man unbillig gerade von ihr fordert. In den letzten dreißig Jahren, etwa seit Anstellung der ersten Vereinsgeistlichen zu München und Nürnberg, sind die Ansprüche gewachsen, ohne daß die Kräfte werktätiger und finanzieller Art wesentlich gestiegen wären. Man zahlt den bescheiden bemessenen Jahresbeitrag, der freilich bei den vielen Verpflichtungen oft nicht leicht fällt und glaubt, so einer christlichen Anstandspflicht genügt zu haben. Aber nicht die kalte Münze, sondern die warme Hand ist wert. Es stehen allermeist bei den christlichen Werken dieselben Namen im Vordergrunde, deren Träger fast überlastet sind. Hier ist es nicht Anspruch, sondern ein gutes Recht, wenn die Innere Mission an die Einzelperson sich wendet. Helfe ein jeder mit, daß nicht nur von wenigen geschehe, was Gemeinpflicht ist. Wir reden so gerne vom allgemeinen Priestertum und seinem guten Recht. Niemand aber wird über dessen Betätigung mehr sich freuen als das Werk der Liebe, das nach Arbeitern aussieht. Nicht Ausrufe, die kaum gelesen werden, sondern persönliche Besuche, die den Einzelnen an seine Pflicht erinnern, die um Zeit werben, solange noch Zeit ist, müssen den Dienern und Pflegern der Liebestätigkeit verstattet sein. Aus solchen persönlichen Beziehungen und Berührungen, die Frage und Antwort, Einwendung und Belehrung ermöglichen, erwachsen segensvolle Beziehungen der einzelnen Berufsarten und Stände zueinander, dadurch wird auch die Kluft verengert, die zwischen Besitzenden und Darbenden sich auftut, daß keines des anderen Sprache mehr versteht. Wie wichtig ist es, unsere Gebildeten für alle die Fragen nicht nur flüchtig zu interessieren, etwa in monatlichen Sitzungen eines Komitees, sondern durch Heranziehung zur Arbeit!
Man soll es darum auch nicht anspruchsvoll heißen, wenn der eine und andere Mensch, der über das große Kapital von freier Zeit fast uneingeschränkt verfügt, direkt angegangen wird, dem unbenutzten Gute Ertrag abzugewinnen, es zu bewuchern und zu bestellen. Vor siebzig Jahren hat man in manchen Städten den Versuch mit der freiwilligen Armenpflege gemacht, es waren im Feuer der ersten Liebe lichte Versuche, die freilich nicht weit über verheißungsreiche Anfänge hinausreichten. An diese Anfänge anzuknüpfen wird sich empfehlen, große Bezirke in übersehbare zu teilen, den einen den Besuch der Armen, den andern die Beratung der Hilfsbedürftigen, Frauen die Einsichtnahme in das Ergehen der Kinder zu übertragen und
Hermann von Bezzel: Pflicht und Recht der Inneren Mission. Paul Müller, München 1915, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Pflicht_und_Recht_der_Inneren_Mission.pdf/24&oldid=- (Version vom 9.9.2016)