nur ein kleiner Teil heimkommt. Wenn man fragt, warum sind die Tausende und Millionen in die Welt getreten, die da hinabfahren ohne Klang, begrüßt von den Tönen und Chören des Abgrunds, dann antwortet Augustin ohne Zucken: „Damit die Ehre Gottes vermehrt werde.“ Das ist die Ehre des blutdürstigen Moloch der Phönikier oder der Ruhm eines weltabgewandten Träumers, der das Röcheln der Erschlagenen in seinen fernen Paradiesesauen nicht vernimmt, aber nicht der Ruhm eines Gottes, der schwer, hart, schauernd mit gebrochenem Herzen ein Kreuz aus Erdentiefen aufsteigen ließ, auf dem sein Liebstes und Bestes einsam Leben, Lebensglück und Lebensfreude opferte, damit er Heimatlosigkeit in Heimat wandle. Luther weiß: Lerne die Vorherbestimmung Gottes in den Wunden Jesu Christi. Und das letzte Bekenntnis unsrer Kirche, das übel gescholtene, weil am wenigsten gelesene, sagt, es gebe nur eine Vorherbestimmung, und das sei die Vorherbestimmung zur Seligkeit.
Der letzte Feind aber, mit dem Augustin rang, war jene weltenreine Mystik, der Donatismus, welche die Kirche zu einer kleinen, engen, abgeschlossenen, konventikelhaften Gemeinde entarten will, kleine Kreise mit ganz Heiligen und ganz Unbescholtenen. Als ob nicht das Wort jenes alten Vaters zurecht bestünde: „In fortschreitender Sündenerkenntnis ruht der Fortschritt des Lebens.“ Luther hat diesen stolzen Heiligen in Wittenberg wohl gewehrt und hat den frommen Schwärmern nach Münster seine Meinung nicht vorenthalten: es gibt keine Heiligen, sondern solche, die sich heiligen wollen; es gibt keine Gemeinden der perfecti, sondern eine Gemeinde der perficiendi,
Hermann von Bezzel: Luther und Augustin. Verlag der Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1912, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Luther_und_Augustin.pdf/21&oldid=- (Version vom 9.10.2016)