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Seite:Hermann von Bezzel - Einsegnungs-Unterricht 1909.pdf/97

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Not der Zeit und durch den Drang der Umstände und durch das an sich nicht unrechte Verlangen, möglichst vielen möglichst viel zu helfen, in die Betätigung hineindrängen lassen, die in meinen Augen eine Gefahr und Todfeindin der Barmherzigkeit werden kann, in die anstaltliche, in die kasernenmäßige Abwicklung der Barmherzigkeitspflicht. Aber was wird es sein, wenn Diener des Worts und ihre Gehilfinnen in allerlei Dienst der Liebe und der Treue den einzelnen wieder nachgehen! Was wird es sein, wenn die rechte Barmherzigkeitsübung persönlich wird! Ich habe damit freilich ein wenig vorgegriffen, es gehört das zu den Gedanken, die man ebenso Lieblingsgedanken wie fixe Gedanken nennen kann, – es gehört zu meinen fixen Gedanken, daß ich in 20, 30 Jahren unsere Krankenhäuser in anderen Händen sehe. Die Anzeichen sind vorhanden. Die Schwestern werden in die Frage gestellt werden, ob sie alle Technik, die sie lernen wollen und sollen, und alle Gründlichkeit der manuellen Betätigung zurückstellen können, wenn Jesus und Seine Ehre es fordert, oder ob sie Jesus und Seine Ehre zurücktreten lassen wollen gegenüber der Ehre vorzüglich routinierte Krankenpflegerinnen zu sein. Es ist ja nachgerade in unseren Krankenhäusern eine sublimierte Seelsorge am Platz, kaum daß man noch christlich zu atmen wagt aus lauter Sorge, man möchte die persönliche Freiheit des Patienten verletzen. Es wird ja immer mehr so kommen, daß die Kranken den Schwestern unter den Händen sterben und haben nichts vom Ernst des Todes und von der Nähe der letzten Entscheidung gehört.

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 Es geht alles so rasch; und wenn ich recht sehe, werden in den Krankenhäusern die Leidenschaften des natürlichen Menschen so sehr hervorgerufen und die Gnadengaben des Menschen so sehr unterdrückt: Schnelligkeit der Arbeit, Raschheit der Erfassung des Moments, Eilfertigkeit eines weitgehenden Entschlusses, eine große Behendigkeit – und, weil so viel auf den Leib gewiesen werden und so viel an den Leib gewendet werden muß, eine langsame Hervorhebung des jedem armen Menschen innewohnenden materiellen Zuges. Ich habe je und dann gefunden, daß, wo die Krankenpflege, besonders in Privatanstalten, recht in der Praxis war, ein veräußerlichender Zug sich zeigte. Das bekannte Wort von Joseph Hyrtl, dem berühmten Anatomen in Wien: „Für mich hat der Mensch den größten Wert, wenn er als Leiche vor mir liegt“, hat eine tiefe Wahrheit. In der fortgesetzten Krankenpflege tritt eine Leidenschaftlichkeit zu Tage, die den Menschen rein in seiner Leiblichkeit ansieht, und dabei kommt auch die natürliche Gutmütigkeit zu kurz und tritt zurück. Gnadengaben werden in der Krankenpflege leicht unterdrückt. Die Massenerfahrungen