mich betrifft, beherrschen und überwinden kann, und diese Kraft heißt Glaube.
Ich glaube! Wir stellen uns freilich mit dieser Macht aus der Reihe der Erfahrungen, denn der Glaube geht der Erfahrung voraus, wie er andrerseits der Erfahrung folgt. Wir hoffen, daß der Glaube uns zunächst die Kraft gibt, über uns selber und über unser Leben ruhig zu werden; wir merken, es treibt alles dahin; wir spüren es, daß alles zu einem Ziel hingeht; es geschieht nichts ziellos unter der Sonne. Es ist uns klar und wird uns immer klarer, daß jeder Tag zur Lösung einer Aufgabe etwas beiträgt; sei es, daß diese Aufgabe als eine zu schwere von uns zurückgewiesen wird, wodurch wir uns freilich den Vorwurf des Ungehorsams zuziehen, sei es, daß jeder Tag einen neuen Opfergang bedeutet, in dem wir Gehorsam lernen, bis wir ihn kennen und im Gehorsam auch die Kraft zu neuer Arbeit empfangen. Wir glauben! Ich meine, wenn eine Christin diese Kraft, die da das Unbegreifliche und Uebersinnliche und Ueberverständliche in sich schließt, in ihr Leben einsenkt und hereinnimmt, wird sie eine Heldin. Wir haben dann wenigstens einen einheitlichen Grund all unsrer Dinge und ein einheitliches Ziel aller unsrer Kräfte. Wir gehen hinein in eine Welt der Rätsel, in eine Menge von Fragen; wir treten heran an große Aufgaben und wissen gar nichts von ihnen, als daß sie uns gestellt sind, und daß der, der sie stellte, auch eine Kraft in sich hat, die groß genug ist, um den Menschen, den er beauftragt, zum Vollzug des Auftrags auszurüsten. Wenn unter uns im Lauf der Jahre der Glaube wächst und unser ganzes Leben, je mehr die äußeren Stützen, die Mittelursachen, wie ichs vorhin nannte, brechen und sich entziehen, auf den Unsichtbaren sich stellt, desto leichter wird es uns, die Sichtbarkeit zu tragen und zu überwinden. Je mehr ein Menschenleben ganz einfach, schlicht, unscheinbar seine Kräfte aus der es umgebenden Gotteswelt in Wort und Weisung zieht, desto klarer und durchsichtiger wird das Leben. Was es umgibt, das bleibt dunkel und ernst, aber was es gibt, das wird hell und licht und klar. So habe ich auch gemeint, in das Leben dieser Dienerinnen des Herrn Jesu die drei Worte hineinwerfen zu dürfen, an denen schließlich jedes Gottesleben, jedes Christenleben sich besinnt. Ich habe geglaubt, die 3 Worte für diesen Einsegnungsunterricht nehmen zu sollen: Berufung, Beruf und Berufe, wobei jedem einleuchtet, daß die Generalüberschrift das Wort Berufung bildet, die Folge dieses Wortes die Tatsache der Beruf ist und dieser Beruf sich in einzelnen Schattierungen vollzieht.
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)