Mangel an Gewißheit hinweg, aber die Gewißheit läßt nie zur Sicherheit kommen. Indem man so die Gaben erweckt, tastend, suchend, über jeden kleinsten Erfolg froh, weil man ja nicht seinen Erfolg suchte, sondern nur die Angst immer wieder bei sich trug, es möchte die Sache dessen, der den Beruf gegeben, verunehrt und geschädigt werden, – wenn man so sucht, so zieht man an. Werdende sind nicht bloß selbst dankbar, sondern sie gewinnen viel Dank. Und so meine ich, das Glück des Berufes ist sowohl das Haben als das Finden, das Hingeworfensein auf die mächtige Hilfe des Herrn, das Losgelöstsein von dem Wahn des eigenen Könnens, jeden Tag von neuem aus Seiner Fülle Gnade um Gnade nehmen, wissen, daß eine Minute die nicht von der Gnade erfüllt ist, zum Fall geraten kann: das ist etwas Seliges und diese Seligkeit wünsche ich uns allen. Werdende werben, Ringende gewinnen, Versuchende ziehen an; und schließlich kommt es doch immer darauf an, daß man Menschen für die große Sache des Reiches Gottes, für die große Ehre gewinnt, Jesu Diener und Nachfolger zu werden. Habe ich die Gefahr jetzt so viele Jahre mit großer Sorge angesehen: Wird nicht einmal unsre blaue Schule entvölkert werden? und habe es nie erfahren müssen, daß sie einsam geworden wäre, so wird das noch weit schwerere Problem, daß den Gemeinden das Lebensbrot entzogen wird, vielleicht doch auch wieder durch die Gnade Jesu gelöst werden. O wie oft habe ich gedacht und gesagt, wenn unsre Gemeinden so um das Amt des Wortes eifern würden, als sie traurig sind, wenn einmal die Krankenpflege oder Kinderschule sistiert werden muß, und wenn unsere Geistlichen so darauf sehen würden, daß den Gemeinden nachgegangen würde, wie sie ängstlich um Diakonissen rufen, dann wäre es wohl anders. Aber ich bleibe dabei: laßt uns in unserm Beruf, bis er uns vom Herrn genommen wird, suchend, fragend, neu beginnend, jeglicher Sicherheit abholde Leute werden. In diesem jugendhaften, in diesem ohnmachtsvollen Tasten, Fragen, Versuchen liegt eine werbende Kraft. Wo ein Beruf nicht für sich selber wirbt, da wirkt er wenig an denen, die er wirbt, und wo eine Arbeit im Reiche Gottes nicht zu sich und in sich selber einlädt, da ist wenig an und von denen zu hoffen, die auf andere Weise kommen. Wenn diese 35 Einzusegnenden bis an ihr Lebensende, wie Gott führt, das Glück ihres Berufes recht tragen und recht erheben, so sind wieder 35 Ladungen und Werbungen ins Leben hinausgegangen. Es widerspricht nicht dem, was ich immer vom Erdenberuf sage, denn schließlich ist auch der geistliche Beruf ein Erdenberuf, er hat auch seine äußere Seite, wir müssen vom Evangelium leben. Kein Beruf verträgt so wenig die Sicherheit
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)