Anliegen stündlich emporsendet als: Brich den Himmel entzwei! Der Du den Weg der Niedrigkeit auf Erden fandest, solltest Du nicht den Weg der Herrlichkeit zu ihr brechen? welch anderen Wunsch dürftet ihr haben, geliebte Schwestern und Schülerinnen, als das weltferne und weltmächtige, weltlose und doch welttreue Gebet: „Amen, ja komm Herr Jesu, komme bald.“ –
Das Heimweh hat dem Mann im Auge geglänzt, daß er ein Held ward, und die Gewißheit, daß hinter ihm der große Streiter Jesus Christus steht, hat auch den Zagen in schwerer Stunde beherzt gemacht. Heimweh ist nicht des Weibes Schwäche, sondern des Mannes Ehre. Heimweh entkräftet nicht, sondern es stärkt. Ich glaube, sprecht ihr dem heiligen Geiste im Heimweh nach, Auferstehung des Fleisches. Teure Menschen, liebe Freunde, edle Mitschwestern, die da draußen ruhen, werden von diesem Heimweh umspannt. Ueber ein Kleines und wir kommen euch nach. Die Wolke der Zeugen so goldenfarben, so menschlich nah, wird von diesem Heimweh umwoben: Wach auf du Geist der ersten Zeugen! Wie könnten evangelische Diakonissen in ihrer höchsten Feierstunde ihres teuren Vaters Luther vergessen, sich des Mannes schämen, der sie beten und glauben gelehrt hat! Gerade in unsern Tagen der Entzweiung, da niemand mehr des anderen Sprache versteht, trösten wir uns mit der Auferstehung der Gerechten, mit der Wiederkehr der großen Zeugen, mit dem Eintritt der Sieghaften in unser Ringen. Wir glauben wohl manchmal, daß in der letzten seligen Stille uns die verklärten Heere der Märtyrer und Propheten spürbar umgeben. Und wie könnt ihr Töchter eines mit einer armen und doch reichen Geschichte gesegneten Mutterhauses der väterlichen Namen vergessen, die jetzt im Heiligtum verklärt sind! Ich glaube ein ewiges Leben. So blickt ihr im Heimweh weiter in die Zeit, da euch nicht mehr Menschen ein Ehrenkleid umlegen, sondern der Herr selber das mühsam bereitete Hochzeitskleid, an dem Er seit eurer Taufe gewirkt und gewoben hat, euch gibt. Ihr schaut die kurze Spanne des Weges nicht sorglich, sondern freudig an; über ein Kleines und mein Freund kommt vom Himmel prächtig, von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig, mein Licht wird hell, mein Stern geht auf. –
Dann ist das Leid überwunden, die Sünde ausgeträumt, die Sorge vorbei; dann ist das Weh des Scheidens dazu da gewesen, daß man um so näher dem Herrn Christus käme; dann kann man die Führungen und Fügungen seines Lebens im Lichte der Verklärung ansehen: der meine Sünden vergibt, der heilet meine Gebrechen. – Aus diesem Heimweh heraus tretet nun wieder in die Welt. Sagt den Kranken von dem Arzte Jesus; bezeugt den Gefährdeten von dem Wandrer, der auf dem Wege
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)