Der gute Mensch
Aloys Behnewind war ein guter Mensch, ein wirklich, wahrhaft guter Mensch von einem ausgeprägten, fast krankhaften Altruismus, wie man ihn heute in der Zeit der feindlichen, räumenden Ellenbogen fast niemals mehr findet. Er war Junggeselle und hatte eine festgelegte auskömmliche Lebensrente.
Saß Aloys, der gute Mensch, bei Regenwetter in einer völlig besetzten elektrischen Bahn, so konnte er es nicht übers Herz bringen, sitzen zu bleiben, wenn sich jemand, welchen Geschlechts, Alters oder Standes er auch war, Platz suchend mit verzweifelten Gebärden in den Wagen hineindrängte. Sein gutes Gefühl, seine sensible Höflichkeit zwang ihn, sofort aufzustehen und dem überzähligen Eindringling Platz zu machen.
Eingeengt zwischen den Wällen feindlicher Beine und Knie stand er so eines Tages mitten im Wagen und wurde bei jeder Kurve, bei jedem plötzlichen Halten oder Abfahren durch den Ruck des Wagens hin und hergestoßen. Er trat dabei den Leuten auf die Füße, stieß aus Versehen mit seinem nassen Regenschirm jemanden in den Mund, setzte sich an einer besonders scharfen Kurve unfreiwillig auf den Schoß einer dicken Dame, wo sich bereits ein kleines Mopperl befand, sprang erschreckt und beschämt auf, um sich, von einem neuen Ruck gestoßen, in eine Pflaumentorte, die ein Konditorlehrling vorsichtig auf seinen Beinen hielt, zu setzen. Allgemeines spöttisches Lächeln auf den Mienen der Mitpassagiere. „Tölpel“, brummte ein alter Herr, dem er beim unfreiwilligen
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/029&oldid=- (Version vom 1.8.2018)