gerade so geltend wie heutzutage, und wenn in der Gegenwart grosse wirtschaftliche Unternehmungen, besonders finanzieller Art, nur ausnahmsweise von einem einzelnen durchgeführt werden können, so waren auch in jener Zeit selbst die bedeutendsten Handels- und Bankhäuser meist nicht in der Lage, den Anforderungen, welche der Geldbedarf der Staaten und ihrer Regenten, sowie der Umfang der eigenen industriellen und merkantilen Thätigkeit stellte, ganz aus eigener Kraft gerecht zu werden. Die Komplettierung unzureichender individueller Kräfte und die Heranziehung weiterer Kreise und deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zur Mitarbeit an irgend welchen grossen Unternehmungen, die das Können des einzelnen übersteigen, geschieht gegenwärtig in der Weise, dass vermittelst der Aktiengesellschaften und ähnlicher Korporationen das Privatkapital den Zwecken des eigentlichen Unternehmers dienstbar gemacht wird. Ebenso vermöchten auch die grössten Banken der Neuzeit der häufig an sie herantretenden Aufgabe, staatliche und kommunale Anleihen zu übernehmen, dauernd nicht zu genügen, wenn sie nicht sicher wären, in dem Privatkapital einen mächtigen Bundesgenossen zu finden. Dem Mittelalter, besonders dem 15. und 16. Jahrhundert, war dies Bedürfnis nicht fremd, aber die Mittel und Formen, in denen sich die Kapitalassoziation vollzog, waren andere, nicht nur in ihrem Aeusseren, sondern auch in ihrem wirtschaftlichen Wirken, ausgestattet mit Vorzügen und Nachteilen besonderer Art.
Und zwar scheint mir, wenn man die Sache vom allgemeinwirtschaftlichen Standpunkte betrachtet, der wesentliche Unterschied darin zu bestehen, dass die Beteiligung des Privatkapitals an solchen Unternehmungen heutzutage unmittelbar erfolgt, während sie früher nur mittelbar stattfand. Der moderne Bankier, der eine Staatsanleihe übernommen hat, ist darauf bedacht, die Schuldscheine möglichst bald wieder in dem grossen Kreise der Privatkapitalisten unterzubringen, deren Beistand das Geschäft meist erst möglich macht, und in je weiterem
Johannes Hartung: Aus dem Geheimbuche eines deutschen Handelshauses im 16. Jahrhundert. Emil Felber, Wien 1898, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hartung_Geheimbuch_eines_deutschen_Handelshauses.djvu/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)