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Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/269

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Diese Begriffsbildung schliesst sich unmittelbar an diejenige der „Volkswirtschaft“ an, die wir charakterisieren als den Inbegriff der durch Verkehrsfreiheit und die technischen Verkehrsverhältnisse ermöglichten, sowie durch einheitliche Rechtssatzung geregelten und durch wirtschaftspolitische Massnahmen geförderten Beziehungen und deren Wechselwirkungen zwischen den Einzelwirtschaften eines staatlich verbundenen Volkes. Volkswirtschaft und Weltwirtschaft in dem hier erörterten Sinne sind demnach blosse abstrakte Begriffe, die freilich eminent konkrete Dinge umschliessen.

Die Tatsache, dass die „Weltwirtschaft“ der politisch abgegrenzten Basis entbehrt, hat dazu geführt, die Berechtigung ihrer begrifflichen Inbeziehungsetzung zur „Volkswirtschaft“ zu bestreiten. Mit Unrecht, denn ausschlaggebend für die Analogie ist – abgesehen von den internationalen Rechtsverträgen – die Intensität der Wechselwirkungen, die durch die wirtschaftliche Tätigkeit der die „Welt“ bewohnenden Menschen über die Grenzen der einzelnen Staaten hinaus entsteht. Wird die Volkswirtschaft durch die Summe der Wechselbeziehungen zwischen den wirtschaftlich tätigen Subjekten innerhalb eines Staates charakterisiert, so kann für die Bestimmung des Begriffes Weltwirtschaft nur ausschlaggebend sein, ob die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen sich heute bereits zu einem ähnlichen Gebilde hin- und herlaufender Fäden verdichtet haben und dadurch ein neues, mehr oder weniger organisches Gebilde entstanden ist. Dies ist zu bejahen.

In keiner Zeit vorher sind die internationalen wirtschaftlichen Wechselbeziehungen so ausgeprägt gewesen, als in der unsrigen. Es handelt sich heute nicht mehr, wie fast immer in der Vergangenheit auf allen Stufen des Wirtschaftslebens um ein blosses Nebeneinanderbestehen von Industrie- und Rohproduktionsländern, die ihren Überfluss austauschen, sondern die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen sind heute derartig kompliziert, und die dabei entstehenden Wechselbeziehungen so unendlich mannigfaltig, dass sie sich längst zu einem eigenen Organismus ausgewachsen haben. Ein Blick in die Praxis bestätigt dies. Erinnert sei z. B. an das internationale Verkehrswesen, an Eisenbahnen, Post, Telegraph, drahtlose Telegraphie und Schiffahrt, an das internationale Bankwesen und die Regelung des internationalen Zahlungsverkehrs, an die grossen Kapitalkonzerns, denen nationale Grenzen längst gleichgültig geworden sind und überall auf dieser Erde zur Stelle sind, wo dem Geldkapital lohnende Aufgaben winken. Hingewiesen sei ferner auf die folgenschwere Wirkung der durch die modernen Verkehrsmittel ermöglichten Weltkonkurrenz auf dem Gebiete der agrarischen Bedarfsbefriedigung, auf das internationale Kartellwesen mit seiner grandiosen Organisation, auf die internationalen Schiffahrtsverbände und auf die Tatsache, dass fast alle grossen Unternehmungen das Bestreben zeigen, in Form von Filialen und Tochterunternehmungen ihre Tätigkeit über die eigene Volkswirtschaft auszudehnen. Zu beachten ist ferner das internationale Anleihewesen, das nicht selten auch unmittelbar zu wirtschaftlichen Wechselbeziehungen führt. Und dass endlich niemals irgendwelche Zeit einen so enormen internationalen Güteraustausch gesehen hat, wie – trotz aller Schutzzollpolitik – die unsrige, bedarf ebenfalls keiner Erörterung, wie auch die Tatsache für sich selbst spricht, dass der „Kampf um den Weltmarkt“, wie wir ihn heute sehen, für unsere Zeit und für diese allein etwas durchaus charakteristisches ist. Kurzum, wir sehen hier einen Komplex von Erscheinungen, der unser Wirtschaftsleben von demjenigen aller früheren Zeiten deutlich abhebt.

Es kann nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein, in eine exakte wirtschafts-wissenschaftliche Untersuchung der Weltwirtschaft als Gegenstand einer besonderen „Weltwirtschaftslehre“ einzutreten. Hier handelt es sich vorläufig noch um so wenig geklärte Dinge, dass deren Erörterung zunächst der reinen Fachwissenschaft vorbehalten bleiben muss. Dem Charakter des „Handbuchs der Politik“ entsprechend, soll an dieser Stelle vielmehr der Frage näher getreten werden, in welchem Masse die deutsche Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft verknüpft ist, und welche Konsequenzen sich hieraus für die deutsche Wirtschaftspolitik ergeben.

Ausgangspunkt solcher Erörterungen muss die Bevölkerungsfrage sein. Auf dem Gebiete des Deutschen Reiches heutigen Umfanges lebten im Jahre 1816 24,8 Millionen Menschen. Heute haben wir 65 Millionen bereits überschritten und in 20 Jahren werden es aller Voraussicht nach

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/269&oldid=- (Version vom 25.9.2021)