Ein prächtiger Nachmittag wars, die Sonne schien nicht zu heiß über Berg und Tal, ein leichtes Lüftchen regte sich, ein richtiger Tag zum spazieren gehen. Wie weitete sich da die Lunge, die die langen vier Wochen auf die schlechte Kerkerluft angewiesen war. Im Landgericht gabs keinen Sonntagsspaziergang wie im Amtsgericht. Die ganze lange Zeit hatte man zwischen den vier Wänden zu verbringen.
Schön gemächlich ging es Weinsberg zu. Auf dem Galgenberg[ws 1] wurde kurze Rast gemacht, dann ging es zu Tal, wo unsere saloppe Gesellschaft gleichfalls nicht geringes Aufsehen erregte. Bei diesem Abstieg war Deckele so gnädig, sich abermals in ein Gespräch mit mir einzulassen, wobei ich ihm prophezeihte, daß die Sache ausgehen werde wies Hornberger Schießen, was er natürlich stark bezweifelte.
Wohlbehalten und ohne den geringsten Zwischenfall langten wir an unserem neuen Bestimmungsort[ws 2] an und wurden von dem dortigen Cerberus, der entsetzlich bärbeißig aussah, aber ein seelenguter Kerl war, in unseren Zimmern untergebracht.
Ich bekam ein solches allein, was, wie mir mein neuer Logisherr andern Tages sagte, ich dem Umstand zu verdanken hatte, daß Kegelmaier in einem Begleitschreiben mich angeschwärzt, ich hetze die Mitgefangenen auf. Meine neue Behausung war groß, geräumig, mit drei Pritschen versehen, aber kalt, nach Norden, der Weibertreu[ws 3] zu gelegen.
In der Nacht schlug das Wetter um, ein kalter Regen setzte ein mit Sturm und ich fror andern Tags wie ein Schneider. Es war mir
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Galgenberg
- ↑ Oberamtsgerichtsgebäude des Oberamts Weinsberg
- ↑ Burgruine Weibertreu
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/79&oldid=- (Version vom 1.8.2018)