die bisher bei Haussuchungen immer mit langer Nase abgezogen war, einen Hauptschlag gegen uns führen zu können und stürzte sich am Ostersamstag früh mit wahrer Bravour auf uns.
In ganz Süddeutschland wurden an diesem Vormittag zu derselben Stunde Haussuchungen gehalten, hier nicht weniger denn sieben. Das Resultat im ganzen Süden war: Sie hatten den ganzen Vormittag im Schweiße ihres Angesichts gearbeitet und mit Ausnahme unseres Schlossers hier, nichts gefangen. Also abermals lange Nasen.
Mit dem Schlosser, einem kemütlichen Sachsen, lag die Sache so! Er war befreundet mit einem unserer besten Genossen, einem Tapezier W. aus Hirschberg in Schlesien und durch denselben in unsere Reihen gekommen. Ich benützte seine Adresse, da er gänzlich unbekannt war, als Deckadresse, zum Bezug des „Züricher Sozialdemokrat“. W., der kurze Zeit vorher mit seiner Braut, einem hiesigen Mädchen, unsere Stadt verlassen hatte, um in seiner Heimat zu heiraten und selbstständig zu werden, gab dem Kemütlichen auf sein Bitten das bekannte neue „Wintermärchen“ von Heinrich Heine.
Dieses Schriftchen, das mit Sozialismus oder Sozialdemokratie nicht das mindeste zu tun hat, dagegen mindestens ein halbes Dutzend Majestätsbeleidigungen enthält, wurde bei der Haussuchung bei unserem Sachsen gefunden und das Kamel hätte ich beinahe gesagt, gab auf Befragen an, er habe es von W. erhalten. Gleichzeitig gab er an, er habe ein Paket erhalten und als er es öffnete, seien Zeitungen darin gewesen, mit dem Titel „Sozialdemokrat“. Er habe sich gesagt, das
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/57&oldid=- (Version vom 1.8.2018)