Bei sämtlichen Deckadressaten, es waren deren sieben hier, hatte man an diesem Ostersamstag auf einen Schlag gehaussucht. Das Ergebnis war Null, den Schlosser ausgenommen.
Unter dem Schandgesetz wurden nicht nur die Genossen von der Polizei auf Schritt und Tritt bespitzelt, sondern auch allen Briefen und Sendungen an dieselben wiederfuhr dieselbe Liebenswürdigkeit. Das Briefgeheimnis war aufgehoben, die Post hatte sich zur Handlangerin der Polizei degradiert. Dies zwang uns, um der Beschnüffelung zu entgehen, alle Briefe und Sendungen, welche Parteiangelegenheiten betrafen, nicht an unsere Adressen gehen zu lassen, sondern an die Adressen von solchen Personen, die sowohl bei der Polizei wie der Post nicht als Sozialdemokraten bekannt waren.
Solche Adressen nannten wir Deckadressen und wir hatten hier, wie bereits bemerkt, deren sieben. In Stuttgart hatte der Hauptexpedient des „Sozialdemokrat“ für Süddeutschland, der Genosse Pf., seinen Sitz. Infolge von Denunziation, wenn ich nicht irre des Polizeispitzels Waiblinger, der damals noch nicht entlarvt war, wurde Pf. am Gründonnerstag plötzlich verhaftet.
Das Deckadressen-Verzeichnis, das er zur größeren Sicherheit stets bei sich führte, wollte er vor seiner körperlichen Untersuchung, die unter dem Schandgesetz auch bei politisch Verdächtigen unnachsichtlich angewendet wurde, dadurch beseitigen, daß er es in den Mund schob, um es zu verschlingen. Die Polizei entriß es ihm aus dem Mund und gelangte so in den Besitz desselben. Mit diesem Fang glaubte unsere hl. Hermandad,
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)