R. ist mein Schwager!“ „Beschweren Sie sich!“ lautete die Antwort des Beamten. „Das werde ich tun!“ replizierte ich so heftig wie zuvor.
Das Zimmer des Schwagers war gleichzeitig die Registratur von mir. Alte wichtige Nummern des „Volksstaat“, alte und neue Einzelnummern des „Sozialdemokrat“, der „Süddeutschen Volkszeitung“, des „Vaterland“, Gewerkschaftsblätter, Frankfurter Zeitungen, Partei- und andere Broschüren enthielt diese Registratur. Die 6000 Flugblätter nicht, die waren in einem anderen Raume.
Während die Herren eifrigst suchten, die Kinder weinten, besonders das Kleinste, besprach ich mich im andern Zimmer bald leise, bald laut mit meiner Frau. Laut: Mache deine Hausarbeit. Leise: Mache das Paket auf und schaffe die Flugblätter in den oberen Raum. Laut: Beschwichtige die Kinder. Leise: Hier durch diese Oeffnung kannst du sie nach oben bringen.
Die Unterredung war beendet. Der gute Stern, der über unserer guten Sache waltet, ließ mich damals eine, wenn auch höchst ungesunde, doch günstige Wohnung besitzen.
Das Zimmer des Schwagers, wo die Herren arbeiteten, war durch einen schmalen Gang getrennt. Die Hauptwohnung bestand aus einem größeren Zimmer mit angeschlossener Kammer, die direkt unter dem unvergipsten, schrägen Dache lag und hier waren die 6000 Flugblätter untergebracht.
Während der Vater nun das Jüngste, einen Ausnahmsknaben, deshalb, weil er am 29. Februar 1880 geboren, zur Beschwichtigung auf den Arm nahm, den Gang auf- und abpatroullierend und die Arbeitenden beaufsichtigend,
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)