Untersuchungshaft verbrachte, sich über die Zeitungen hermachte, um wieder etwas vom Außenleben zu erfahren, von dem er diese lange Zeit über vollständig abgeschlossen war.
Sämtliche vier Zeitungen registrierten meine Verhaftung, unser Parteiblatt in seinem Kommentar dazu mit einem Protest gegen die durch nichts zu rechtfertigende Gewaltmaßregel, besprach das Flugblatt und wies nach, daß auch nicht der mindeste Verstoß gegen das Strafgesetzbuch in demselben zu finden sei.
Nachdem die Zeitungen meinerseits rasch gelesen waren, begann ich das Studium des Strafgesetzbuches, besonders der §§ 130 und 131, die ich sofort auswendig lernte. Dann kam die Strafprozeßordnung an die Reihe und zuletzt das Preßgesetz. Erligheim, der mittlerweile mit den Zeitungen fertig war, bat mich, ihm aus dem Strafgesetz mitzuteilen, welche Strafe ihn eventuell treffen könne. Nach Durchlesen des auf seinen Fall zutreffenden § 227 mußte ich ihm leider sagen, daß dies eine Unmöglichkeit sei, da dem Richterkollegium ein großer Spielraum offen stehe, straflos würde er jedoch keineswegs ausgehen, da der Tod eines Menschen bei dieser Messerstecherei herbeigeführt wurde, doch könne er vielleicht mit der Mindeststrafe von 6 Monaten Gefängnis davonkommen.
Er jammerte natürlich nicht wenig, besonders in Rücksicht auf seinen Schatz, seine Lisbeth, ein Bauernmädchen seines Orts, da er befürchtete, sie durch seine Verurteilung zu verlieren. Ich tröstete ihn, ohne indeß zu unterlassen, ihn auf das Verwerfliche der Messerstecherei hinzuweisen, wodurch
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)