Vorwand, der Tatbestand könnte verschleiert werden, auch liege Fluchtverdacht vor.
Von Fluchtverdacht konnte gar keine Rede sein, ich war verheiratet, Vater von 5 Kindern und überzeugt, daß das Flugblatt nichts Strafbares enthält, wie sollte es mir einfallen, einer solchen Lappalie wegen meine Familie im Stich zu lassen.
Meine Verhaftung erfolgte von der Hobelbank hinweg, doch wurde mir gestattet, in Begleitung des Stationskommandanten mich nochmals in meine Wohnung zu begeben, um mich umzuziehen und meiner Familie adje zu sagen.
Meine weinende Frau und Kinder tröstete ich damit, daß ich nichts Schlechtes begangen und bald wieder kommen werde.
Nun ging es dem Kgl. Amtsgericht zu, wo uns der Untersuchungsrichter, ein junger Assessor namens Kegelmaier,[ws 1] schon erwartete. Er eröffnete mir, daß ich wegen Vergehen gegen §§ 130[ws 2] und 131[ws 3] des Strafgesetzbuches in Untersuchung gezogen sei und begann auch sofort mit meiner Vernehmung. Ich bekannte mich als alleinigen Verfasser des Flugblatts und somit auch als allein Verantwortlichen, verteidigte die inkriminierten Stellen, erklärte, was und wen ich damit meinte und wies nach, daß sie nicht strafbar seien.
Nach beendetem Verhör wurde ich in Untersuchungsarrest abgeführt.
Eine etwa 10 Zentimeter starke eichene Türe mit starkem Eisenbeschläg, verschiedenen starken Riegeln und Schlössern versehen, wurde geöffnet und wir standen in einem stockdunklen Raum von etwa 80 Quadratzentimeter Inhalt, der sich
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Paul Hegelmaier (1847–1912)
- ↑ „§ 130 Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.“ Strafgesetzbuch, Fassung vom 20. März 1876
- ↑ „§ 131 Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.“ Strafgesetzbuch, Fassung vom 20. März 1876
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)