Parteimitgliedschaften gegründet. Die durch das Ausnahmegesetz aufgelösten Gewerkschaften erstanden neu und wenn je das Dichterwort: „Das Alte fällt, es ändert sich die Zeit und neues Leben blüht aus den Ruinen“,[ws 1] eine berechtigte Anwendung fand, so im Jahr 1890 in Bezug auf die Partei- und Gewerkschaftsbewegung.
Leider waren in den letzten Jahren innerhalb der Partei starke Meinungsverschiedenheiten über die zu befolgende Taktik zu Tage getreten, die sich nach der letzten Reichstagswahl, besonders in den großen Städten des Reiches bedenklich zuspitzten.
Die erste Maifeier, die in dieses Jahr fiel, gab den Anlaß, diese Differenzen noch zu steigern. Ein Teil der Parteigenossen, besonders die Jüngeren, faßten den Beschluß des internationalen Kongresses bezüglich dieser Feier dahin auf, daß vollständige Arbeitsruhe, mit entsprechenden Massenumzügen, die allein richtige und würdige Feier des Tages sei. Sie erließen in dem in Berlin erscheinenden Parteiblatt, der „Volkstribüne“, einen diesbezüglichen Aufruf, ohne sich vorher mit der Reichstagsfraktion, der damaligen Parteileitung, zu verständigen.
Diese war anderer Meinung; von der Erwägung ausgehend, daß zunächst alles zu vermeiden sei was bei der Regierung, wie den bürgerlichen Parteien, als Vorwand benützt werden könnte, um das Sozialistengesetz zu verlängern. Da durch allgemeine Arbeitsruhe und verbotene Massenumzüge leicht aber ein solcher Vorwand geschaffen werden konnte, stand die Parteileitung damals auf dem heute leider noch eingenommenen Standpunkt: Arbeitsruhe und Umzüge, soweit beides ohne
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, vierter Aufzug, zweite Szene
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)