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Seite:Geschichten von lieben Nachbarn.pdf/4

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Walther Kabel: Geschichten von „lieben Nachbarn“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 236–239

In diesem Falle hatte jedoch eine höhere Macht ein Einsehen. Bei dem letzten großen Erdbeben, das halb San Franzisko in einen Trümmerhaufen verwandelte, stürzte auch die Riesenmauer ein und begrub unter sich jenes Häuschen, dessen Besitzer zum Glück rechtzeitig geflohen war. Crocker zeigte sich jetzt von einer besseren Seite als bisher. Vielleicht war ihm durch das Eingreifen der Naturgewalten die ganze Erbärmlichkeit seines Benehmens zum Bewußtsein gekommen. Die Mauer wurde abgetragen, und ebenso ließ er auf seine Kosten das Heim des Sonderlings in derselben Gestalt wieder aufbauen und schenkte ihm noch ein Stück seines Parkes als Gartenland dazu.

Zum Schluß noch eine recht tragisch endende Geschichte. In einem Pariser Vorort bewohnte der Graf v. Sorby, ein Junggeselle und begeisterter Bonapartist, eine kleine Villa. Eines Tages wurde das Nachbargrundstück verkauft. Der neue Eigentümer richtete in dem Hause ein Konservatorium für Musik ein, in dem in der warmen Jahreszeit zumeist bei offenen Fenstern Instrumente aller Art bearbeitet wurden. Sorbys Ruhe war dahin. Da ihm der Weg vor den Richter nicht standesgemäß erschien, kaufte er nicht weniger als sechs große Orchestrions an, die er vor den nach der Musikschule hin mündenden Fenstern seines Hauses aufstellte und deren Kurbeln er durch eigens dazu gemietete Leute vom Morgen bis zum Abend drehen ließ. Der dadurch verübte Lärm war so furchtbar, daß Sorby nicht nur von dem Konservatoriumsbesitzer, sondern auch von mehreren anderen Nachbarn verklagt wurde. Trotzdem stellte er den ruhestörenden Lärm nicht ein. Als er dann verschiedentlich zu hohen Geldstrafen verurteilt wurde, da er seine Orchestrions entgegen richterlichem Befehl weiter in Tätigkeit setzte, beantragte seine Familie, da er sein Vermögen auf diese Weise schnell vergeudete, seine Entmündigung, die vom Gericht auch ausgesprochen wurde. In der Nacht darauf versuchte der Graf das Konservatorium in Brand zu stecken, wurde aber dabei überrascht und sofort in eine Privatirrenanstalt gebracht, wo er drei Jahre später starb. Er hatte infolge des erbitterten Kampfes

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Geschichten von „lieben Nachbarn“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 236–239. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichten_von_lieben_Nachbarn.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)